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Ware Bildung – Jochen Krautz

k-P1010051Hinweis: Die folgende Rezension beschäftigt sich entgegen des Blogmottos nicht mit einem fiktionalen Roman, sondern mit einem wissenschaftlichen Sachbuch. Im Verlaufe der Rezension geht es durchaus auch ins Politische. Ich bitte aber zu beachten, dass diese Rezension ein subjektiver Text ohne wissenschaftlichen Anspruch bleibt.

Ich habe lange überlegt, ob ich über dieses Buch bloggen möchte. Es passt von seiner Thematik her überhaupt nicht in diesen Blog und ich hatte ja mal geschrieben, dass ich diese Plattform nicht dafür nutzen möchte, jeden Text, den ich im Kontext meines Studiums lese, zu besprechen. Was mich letzten Endes doch dazu bewogen hat, hier darüber zu sprechen, ist die Tatsache, dass vor einigen Tagen in der Tagesschau mal wieder über eine Studie der OECD gesprochen wurde und ich danach das Bedürfnis hatte, mir meinen Frust mal von der Seele zu schreiben.

Jochen Krautz erklärt in diesem Buch alles, was mit der Ökonomisierung von Bildung zu tun hat. Dabei geht er zunächst darauf ein, was denn eigentlich unter Bildung zu verstehen ist, für was Schule und Universität eigentlich da sind. Dann geht er darauf ein, wie die Bildung in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich schlechter wird und dieser hehre Bildungsanspruch immer weniger erfüllt wird. Insbesondere auf die PISA-Studie geht er ausführlich ein und dekonstruiert anschließend alle „Unworte“ der neu-neoliberalistischen Bildungspolitik.

In zwei abschließenden Kapiteln widmet er sich erst der Kommerzialisierung und ökonomischen Verwertung von Bildung und beschreibt die verschiedenen Akteure der Bildungspolitik, um anschließend einen normativen Ausblick zu geben.

Für alle, die noch nie von Ökonomisierung von Bildung gehört haben, hier ein kurzer Einblick, frei nacherzählt nach diesem Buch: In Deutschland ist überall das humanistische Bildungsideal, einem Menschen eine umfassende Allgemeinbildung mitzugeben, die ihn dazu befähigt, reflektiert und mündig handeln zu können. In den letzten Jahren wird dieses Ideal zugunsten von sogenannten Kompetenzorientierungen aufgegeben, es geht vielmehr darum, das eigene Humankapital durch möglichst viele Kompetenzen zu stärken und sich somit auf dem Arbeitsmarkt wertvoller machen. Damit einher, gehen Reformen, die die Schulen und Universitäten mit betriebswirtschaftlichen Methoden effizienter gemacht werden und aus der damit notwendig sinkenden Qualität entsteht ein Markt für Bildungsprodukte, wie Nachhilfe, Lernsoftware und Privatschulen. Durch öffentlichkeitswirksame Maßnahmen wie die PISA-Studie wird diese Entwicklung ohne Legitimation forciert.

Ich gebe zu, das wirkt tatsächlich ein bisschen wie eine schlechte Verschwörungstheorie. Die bösen Unternehmen haben sich in einer geheimen Weltregierung zusammengetan und wollen uns unmündige Bürger nach Strich und Faden kontrollieren. Schon klar, und die Amis waren nie auf dem Mond und haben 9/11 inszeniert.

Nein, ich glaube, man darf das nicht so eindimensional sehen, Jochen Krautz geht hier sicherlich mit einer gehörigen Portion Subjektivität in die Beschreibung der Prozesse, natürlich ist es diskussionswürdig, ob das humanistische Bildungsideal wirklich ins Zentrum gehört und ob es nicht sogar sehr wünschenswert ist, wenn Lehrer und Professoren nicht in ihrer freien Gedankenwelt herumarbeiten, sondern durch betriebswirtschaftliche Prozesse und derartige Ausrichtungen des Bildungssystem an die ökonomische Praxis der Arbeitswelt gebunden sind, aber meiner Meinung nach ist hier definitiv etwas faul im Staate… äh… Deutschland.

Gerade Krautz Argumente zu PISA regen schon zum Nachdenken an. Warum hat eine Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (die OECD) so viel Einfluss auf das Bildungssystem? Warum wurde Kritik an PISA (mangelnde empirische Evidenz, sehr… seltsame Testkriterien) kaum in der Öffentlichkeit besprochen, aber nach PISA musste alles anders werden? Wie gesagt, das klingt alles wie eine große Verschwörung, aber ist eigentlich nur eine Konsequenz der fortschreitenden Ökonomisierung der Gesellschaft.

Aber mal zum Buch selber: Es ist natürlich durchaus ein Buch mit wissenschaftlichem Hintergrund, aber es ist so subjektiv und verständlich gehalten, dass es durchaus auch für den interessierten Laien zugänglich ist, Begriffe werden größtenteils erklärt und ausgeführt – aber zum schnellen Herunterlesen ist es sicherlich nicht geeignet.

Ich möchte dem Buch keine Wertung in Form von Sternen geben, euch aber ans Herz legen, sich mal mit den Akteuren, der OECD, der Bertelsmann-Stiftung und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft auseinanderzusetzen und begreifen, dass PISA und Co von Organisationen mit unmittelbarem wirtschaftlichen Interesse durchgeführt wurden – und wie bei den Diagrammen aus der Shampoo-Werbung sollte hier etwas kritische Distanz angebracht sein. Also, wenn euch das interessiert, schaut mal in das Buch von Jochen Krautz rein, ich kann es wirklich empfehlen.

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