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The Reckoning – John Grisham

Vor einigen Monaten, noch vor der Veröffentlichung der deutschsprachigen Ausgabe am 04. März 2019, fand ich den neuen Grisham in einem Bücherschrank. Ich hatte bis dato noch keinen gelesen und dachte mir, dass das wohl eine passende Gelegenheit sei. Ich nahm ihn mit und mir vor, ihn noch bis zur Veröffentlichung auf Deutsch zu lesen. Offensichtlich hat das nicht geklappt, aber inzwischen habe ich ihn gelesen und kann jetzt davon erzählen:

Pete Banning ist Grundbesitzer in einem kleinen Örtlichen in den USA. Seine Kinder gehen auf ein College und insgesamt läuft sein Leben in geregelten Bahnen – mit der Ausnahme, dass seine Frau in einer Psychiatrie untergebracht ist. Eines schönen Morgens geht er ins Dorf und erschießt den Pfarrer der örtlichen Gemeinde. Er lässt sich festnehmen, besteht darauf, sich nicht zu verteidigen oder zu erklären und wird schließlich nach einiger Zeit zum Tod durch den elektrischen Stuhl verurteilt. Stoisch lässt er die ganzen Revisionsverfahren über sich ergehen, weigert sich aber beharrlich, eine Erklärung abzugeben, obgleich viele aus der Jury ihn noch als Kriegshelden sehen. Dieser Zeit widmet sich der zweite Teil des Buches, der sein Kriegserlebnis als Rückblende beschreibt. Der dritte Teil widmet sich dann der Familiengeschichte, den Zivilklagen und schließlich gegen Ende auch der Auflösung des Falls.

Ich habe an vielen Stellen gelesen, dass es sich hierbei nicht um einen typischen Grisham handeln würde. Und tatsächlich habe ich das Buch eine Zeitlang mit der Erwartung ‚Justizthriller‘ gelesen und hätte ich nur diese Erwartung gehabt, wäre ich wohl relativ enttäuscht gewesen, ein Justizthriller ist das keineswegs. Im Gegenteil, die Passagen vor Gericht sind eigentlich ziemlich langweilig. Der zweite Teil des Buches hat nichts mit dem Verfahren zu tun, sondern erklärt höchstens die Hintergründe. Viele Rezensenten weisen zu Recht darauf hin, dass man diesen hätte ersatzlos streichen oder radikal kürzen können, ohne dass die Geschichte weniger nachvollziehbar gewesen wäre.

Das sind alles berechtigte Einwände. Und trotzdem mochte ich das Buch sehr. Ich hatte den Vorteil, dass ich, da es mein erster Grisham war, ohne Erwartungen an das Buch ging und es einfach gelesen habe. Es ist sicherlich nicht für jedermann geeignet. Die Passagen im zweiten Teil über die Zeit in japanischer Kriegsgefangenschaft sind schon ziemlich grob. Auch der Ausgang des Verfahrens im ersten Teil ist nicht unbedingt ästhetisch zu lesen. Und fast 400 Seiten quält man sich durch die Frage „Warum zur Hölle?“, die auch alle anderen Protagonisten des Buches quält, denn in der Banning-Familie spricht man nicht viel miteinander.

Ich hatte zwischendurch ernsthaft befürchtet, dass die Wahrheit über den Fall tatsächlich verborgen bleibt, aber tatsächlich gibt es am Ende eine Auflösung, die es wert ist, gelesen zu werden. Und sie deutet sich auch im Laufe des Falls auch schon an. Ich hatte schon eine Idee, wie es gewesen sein könnte, zwar ging es dann minimal anders aus, aber meine Idee war durchaus zutreffend. Wenn es also weder die Spannung noch die besondere Überraschung am Ende war – warum ist das Buch dann einen Blick wert? Zwei Aspekte haben mich besonders gefesselt: Es wirkt absolut authentisch. Es basiert wohl auf einem wahren Kern, über den Grisham stolperte und den er dann literarisch verarbeitete. Die Kriegsgefangenschaft basiert auf realen Ereignissen und genau so könnte es einige Jahre nach dem Krieg jederzeit in den Staaten passiert sein. Weiterhin gefiel mir der Schreibstil. Grisham schreibt lebendig und nachvollziehbar, lässt die Innenwelten weg, wo sie erzählerisch keinen Sinn ergeben und bringt sie ein, wenn sie notwendig sind. Andererseits ist es nicht so derbe, dass man regelrecht abgestoßen wird. Natürlich ist die Kriegsgefangenschaft nicht besonders angenehm beschrieben und empfindlichen Gemütern könnte es schon etwas übel werden, aber er reizt das Potenzial an Ekel, das er erzeugen könnte, nicht aus, sondern belässt es bei relativ nüchternen Beschreibungen. So erzeugt er eine Stimmung, die mich gut in das Szenario hineinversetzt hat – in allen drei Teilen.

Ich würde nochmal einen weiteren Grisham lesen wollen, allein weil mich interessiert, wie er es geschafft hat, mit einem Buch 90 Wochen an der Spitze der Bestsellerliste zu stehen. Aber wenn man sich von der Erwartung Grishams löst, ist The Reckoning ein guter Roman. Es ist kein Thriller und auch wenn ein Mord am Anfang des Geschehens steht, auch nicht so wirklich ein Kriminalroman. Aber ein guter Roman über die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg in einer amerikanischen Kleinstadt. Und dafür gebe ich durchaus gerne 4/5 Sternen.

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