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Herkunft – Saša Stanišić

Den Deutschen Buchpreis im Jahr 2019 gewann Saša Stanišić mit seinem Roman Herkunft. Ich habe mir das Buch – wie in jedem Jahr – sofort bestellt und es – wie in jedem Jahr – neun Monate später gelesen, sodass ich pünktlich zur Bekanntgabe des Gewinners 2020 hier vermelden kann, dass der Preis 2019 an ein gutes Buch vergeben wurde. So läuft das hier schon seit einigen Jahren und so geht es auch in diesem Jahr weiter.

Üblicherweise fange ich hier mit einer kurzen Darstellung des Inhalts an. Hier möchte ich aber kurz mit Roland Barthes beginnen, der 1967 postulierte, dass der Autor für die Literatur keine Bedeutung hat und der Sinn nur vom Leser konstruiert wird. Barthes kritisierte dabei den Fokus auf die biographische Deutung eines Romans. Traditionelles Beispiel aus dem Deutschunterricht ist die Deutung von Kafkas ‚Urteil‘, die viel zu oft einzig auf die Beziehung Kafkas zu seinem Vater hin verengt wird.

Was hat das mit Herkunft zu tun? In Herkunft geht es um einen jungen Mann der auf den Spuren seiner Großmutter ist und dabei seine Geschichte erzählt. Er erzählt von seiner Jugend in Jugoslawien, dem beginnenden Krieg, der Flucht nach Deutschland, seinem Weg, in Deutschland Fuß zu fassen und schließlich seinem Erwachsensein, seiner Karriere als Schriftsteller und wie er versucht, mit seiner im Sterben liegenden Großmutter seine Herkunft zu erkunden. Diese zwei Handlungsstränge – Ankommen in Deutschland und Erkunden der Herkunft – sind miteinander verwoben und kulminieren in einem „Choose your own Adventure“-Finale, ‚Der Drachenhort‘.

Um ehrlich zu sein, der Plot der Geschichte wäre eigentlich eher mittelmäßig: Kriegsflüchtling ist in Deutschland gut angekommen und macht sich auf die Suche nach seinen Vorfahren. Und es ist jetzt auch nicht so, dass in der Geschichte wahnsinnige Spannung aufkommt und man darauf wartet, dass endlich die Auflösung kommt. Der Roman lebt von seiner Authentizität, davon, dass der Autor nicht tot ist. Davon, dass Saša in seiner Rede beim Gewinn des Buchpreises Tränen in den Augen hat und davon spricht, dass er „Glück hatte, dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt“.  Davon, dass er bei einer Lesung in Heidelberg denjenigen Sachbearbeiter auf die Bühne holt, der ihm das Studium in Deutschland ermöglicht hat – was er in Herkunft beschreibt.

Herkunft ist autobiographisch durch und durch und erzählt eigentlich keine Geschichte aus einer anderen Wirklichkeit, sondern eine wahre Geschichte. Und das ist es, was das Buch so besonders macht: Das naive Erzählen und Spielen mit Sprache, wie es nur jemandem gelingt, der aus irgendeinem Grund Sprache mehr als nur als Werkzeug begreift. Ich hatte einige Jahre einen Bürokollegen, der eigentlich nichts mit Saša gemein hat, abgesehen davon, dass Deutsch nicht seine Muttersprache war und er in Deutschland Deutsch studiert hat. An ihn musste ich denken, wenn  Saša Stanišić in seinem Buch über Sprache reflektiert und mit ihr spielt.

Letzten Endes ist aber auch die Geschichte des Buchs sehr bewegend. Sei es das Unverständnis, warum es wichtig ist, ob man sich als Moslem oder Serbe versteht, sei es die Beschreibung des Lebens in Višegrad damals und heute oder sei es das Ankommen in Deutschland. Zwar ist der Bosnienkrieg seit über 25 Jahren passé; er wirkt in den Köpfen der Betroffenen bis heute nach. Und sei es nur deswegen, weil es das Land, in dem man seine Kindheit verbracht hat und den Fußballverein, mit dem man mitgefiebert hat, heute schlichtweg nicht mehr gibt.

Wie angekündigt, kann ich also nur sagen, dass Herkunft ein großartiger Roman ist und ich ihn schon hätte viel früher lesen müssen. Praktischerweise kann ich euch aber jetzt direkt das neu erschienene Taschenbuch empfehlen, das immerhin zehn Euro günstiger ist. Ich mache mich dann mal auf die Suche nach weiteren Romanen von Saša Stanišić und verbleibe hier mit 5/5 Sternen.

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