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Der Vorleser – Bernhard Schlink

k-WP_20160115_005Der Vorleser ist so einer dieser modernen Klassiker, den gefühlt jeder in der Schule gelesen hat. Nachkriegsliteratur, beschäftigt sich mit der NS-Vergangenheit, ist leicht zu lesen, nicht allzu lang und es gibt zahlreiche Unterrichtsmaterialien dazu. Also wie perfekt für eine Schullektüre. Mich hat es aber nicht getroffen, ich habe es tatsächlich in der Schule nicht behandelt und so dachte ich, wäre es doch mal ganz hübsch, es einfach mal so zu lesen. Und es lässt sich ja auch recht gut einfach runterlesen.

Michael Berg hat Gelbsucht und eine Frau hilft ihm, als er sich an einer Hauswand übergibt. Nach seiner Genesung will er sich bei ihr bedanken und beobachtet sie dabei heimlich beim Umziehen. Als er noch einmal auf sie trifft, beginnt eine sehr schnelle und intensive Liebesbeziehung der beiden, in der Michael quasi völlig untergeordnet wird und die fortan Michaels komplettes Leben bestimmt. Sie bittet ihn, vor dem Verkehr etwas vorgelesen zu bekommen, was dieser natürlich tut. Nach einiger Zeit zieht sie ohne Begründung weg.

Einige Zeit darauf trifft Michael wieder auf sie. Sie ist vor Gericht und soll als Aufseherin in einem KZ verhaftet werden. Im Laufe des Prozesses, den Michael als Rechtsstudent beobachtet, wird ihr von allen Seiten der Schwarze Peter zugeschoben, sie soll die gesamte Verantwortung tragen und wird dann zu lebenslanger Haft verurteilt werden und wirkt zunehmend ratloser. Michael bemerkt, dass sie Analphabetin ist, aber kommt nicht dazu, dies dem Richter mitzuteilen.

Michael, dessen Ehe scheiterte, schickt ihr aufgespielte Kassetten ins Gefängnis, in denen er ihr vorliest, seine Vergangenheit verfolgt ihn unaufhörlich. Im Gefängnis fängt sie an, lesen und schreiben zu lernen und schickt ihm Dankesbotschaften. Als sie freigelassen werden soll – Michael kümmert sich um Job und Wohnung nach der Haft – erhängt sie sich am Vorabend und hinterlässt ihr Erspartes den Opfern ihrer Schuld.

Ich muss leider sagen, dass mich das Buch überhaupt nicht begeistern konnte. Zwar war es durchaus ganz interessant, die Geschichte zu lesen und die Seiten flogen auch nur an mir vorbei, dennoch war ich mit der Geschichte nicht ganz glücklich. Ich fand sie nicht so besonders toll erzählt, ich störte mich an den eher eindimensionalen Charakteren, der ziemlich abgedrehten Liebesbeziehung und auch Hanna, deren ganzes Leben scheinbar nur um ihren Analphabetismus zu kreisen scheint, fand ich nicht besonders sympathisch.

Ich weiß, dass dieser Roman sich mit dem Konflikt von Privatheit und Politik auseinandersetzt, ich weiß, dass die Art der Vergangenheitsbewältigung als außergewöhnlich gilt und es ist auch tatsächlich einer der wenigen deutschen Romane, die in Amerika millionenfach verkauft wurden. Aber ich verstehe es nicht. Ich sehe den Schreibstil und fühlte mich spontan an die präzise Erzählweise deutscher Nachkriegsliteratur erinnert, frei von jedem Ballast, ich dachte beispielsweise an Uwe Timms ‚Entdeckung der Currywurst’ (mit ähnlichem Thema, das mir aber auch nicht zusagte) und Süskinds Parfum, welches ich sehr schätze. Aber irgendwie schafft der Roman es nicht, bei mir zu zünden.

Na klar kann man mit dem Roman einiges anstellen. Man kann sich den Stil anschauen, die Leitmotive, die immer wieder auftauchen gegenüberstellen und die Auswirkungen auf den Charakter Michael, der zur Zeit der Beziehung gerade 15 war, diskutieren. Man kann sich über den Erzähler, der beinahe reflektierend und autobiografisch wirkt, unterhalten und es liegt auch durchaus nahe, sich aus historischer Perspektive mit der Schuldfrage auseinanderzusetzen. Ist Hanna die Täterin, die das Gericht in ihr sieht? Wird sie mit ihrem Analphabetismus zum Opfer des Gerichtsprozesses? Die Beschreibung legt nahe, dass Hanna aufrichtig ihre Schuld sieht und eingesteht, aber zum Opfer wird, weil ihr die Verantwortung zugeschrieben wird und sie sich nicht wehren kann. Ist ihr hartes Urteil dennoch gerechtfertigt? Was bringt sie dann dazu, sich zu erhängen? Und ist ihr Analphabetismus selbstverschuldet? Viele Fragen, die sich gut diskutieren lassen.

Aber dennoch wird das Buch kein Lieblingsbuch werden. Es ist mir teilweise zu oberflächlich und gefällig, die Innenwelten bleiben oft sehr einfach, alle anderen Ereignisse, die teilweise nur angerissen werden und die unklare Datierung lassen das Buch einfach als Diskursbeitrag im Kollektivschulddiskurs stehen. Ja, das Buch ist wichtig, ja, das Buch ist richtig. Und es ist auch nicht verkehrt, das Buch in den Unterricht zu bringen. Aber warum musste es dieses sein? Die Sonderstellung, die das Buch in der Rezeption einnimmt, kann ich absolut nicht nachvollziehen. Ich halte es zwar für ganz lesenswert, aber kann diese massive Sonderstellung nicht nachvollziehen. Weder überzeugte mich die Handlung, noch konnte ich mit Charakteren oder Stil übermäßig viel anfangen. Eines dieser Bücher, die meiner Meinung nach zu unrecht gehypt werden. Dennoch gebe ich dafür, dass das Buch durchaus lesenswert ist und wichtige Fragen stellt, noch 3/5 Sternen.

 

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