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Der blonde Eckbert – Ludwig Tieck

k-2016-11-08-23-48-36Man sagt gemeinhin, dass mit dieser Erzählung damals alle angefangen hatte. 1797 entstanden war es eines der ersten Werke, das einige typische romantische Merkmale aufweist, die in der Folge sehr populär werden und die europäische Erzähltradition nachhaltig prägen. Doch kommen wir zur Geschichte

Eckbert ist ein Ritter, der, zusammen mit seiner Frau ziemlich zurückgezogen in seinem Schloss lebt und bis auf einen einzigen Freund, Walther, niemanden hat, mit dem er Umgang pflegt. Eines schönen Abends bleibt Walther dann über Nacht und erfährt von der Geschichte seiner Frau. Sie wurde einst von zuhause fortgeschickt und kam dann zu einer Waldfrau, bei der sie den Haushalt führt und sich in ihrer Abwesenheit um Vogel und Hund kümmert. Als ihr die Arbeit gar zu müßig wird, verschwindet sie schließlich mit einem Topf voller Edelsteine und beginnt ihr neues Leben mit dem Ritter Eckbert. Doch der Freund erinnert sich an den Namen des Hundes und so schließt Eckbert, dass er etwas mit der Krankheit seiner Frau zu tun habe, erschießt ihn in seinem Wahn und freundet sich mit einem gewissen Hugo an. Von nun an wird es sonderbar. Hugo scheint Walther zu sein, Walther aber ist die alte Frau, vor der seine Frau damals, kurz bevor sie ihre Prüfung bestanden hätte, floh. Sie erzählt ihm noch davon, dass er der Halbbruder seiner verstorbenen Frau war.

Wenn man diese Geschichte liest, stolpert man notwendigerweise über das bizarre Ende. Hier zeigt sich eine weitere Besonderheit romantischen Erzählens (wir werden uns in dieser lockeren Serie dem immer weiter annähern, sodass ihr dann am Ende echte Romantik-Experten seid!): Der unzuverlässige Erzähler. Tiecks Erzähler ist höchstens am Anfang allwissend, später aber weiß er nicht mehr als die Figuren und erzählt die Geschichte so, wie die Figuren sie erleben. Und das führt dazu, dass wir den Wahnsinn, an dem Eckbert leidet unmittelbar mitbekommen und nicht mehr wissen, was davon jetzt Wahrheit und was davon die Ausgeburt des kranken Kopfes ist. Verstörend ist dies – und war dies für das zeitgenössische Publikum – vor allem deshalb, weil dieser Text zuerst in einer Sammlung von Volksmärchen erschien, es aber so gar nicht wie ein Volksmärchen wirkt und funktioniert. Und der Text bricht ständig mit den Erwartungen des Lesers. Der Ritter Eckbert ist alles, nur nicht das, was man sich unter einem Ritter vorstellt und letzten Endes geht es weniger um ihn, als um seine Frau. Die Binnenerzählung der Frau nimmt übrigens rein quantitativ betrachtet fast 60% des gesamten Textes ein, steht also viel mehr im Zentrum als die Rahmenhandlung um den Ritter.

1812 wird das Werk schließlich neu veröffentlicht, diesmal im Phantasus, einer Sammlung von Erzählungen, ganz ähnlich den einige Jahre später veröffentlichen Serapionsbüdern – Hoffmann sieht sich selber in der Tradition Tiecks. Tieck war ein Wegweiser für die Romantik. Er führt viele Aspekte ein, die später von seinen Mitstreitern perfektioniert und weiter ausgearbeitet werden.

Mir gefiel auch diese Geschichte außerordentlich gut. Ich finde es immer spannend, wenn der Wahnsinn thematisiert wird. Und dafür, dass diese Geschichte nicht mal dreißig Seiten umfasst, ist da jede Menge enthalten, da ist kein Wort falsch gesetzt und da steht kein Satz zufällig an seiner Stelle. Die Geschichte sollte man nicht aus dem zeitlichen Kontext herausreißen. Zeitgleich erschienen die großen Bildungsromane, in denen alles aufgeklärt wurde, in dem kein Geheimnis offenbleibt und der absolut transparent und abgeschlossen ist – und der blonde Eckbert ist der größtmögliche Gegensatz dazu. Die Geschichte bleibt nicht aufgelöst stehen und lässt Irritation zurück. Und ich finde es spannend, wenn Geschichten es nicht nur gut schaffen, mich zu unterhalten, sondern wenn sie es auch schaffen, mich zu irritieren. Für diese wegweisende Geschichte gebe ich 4/5 Sternen. Es ist vielleicht nicht übermäßig großartig – und wenn man nur einen schnellen Blick auf die Romantik werfen möchte, ist dieser Text vielleicht nur als guter Vertreter der Frühromantik geeignet, aber es ist definitiv ein lesenswerter Text, es macht Spaß, es ist interessant und anregend, ihn zu lesen. Aber vielleicht gäbe es gerade von Tieck noch Geschichten, die einen Tick bekannter und relevanter sind.

 

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