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Aufziehmädchen Emma – Stefan Steinmetz

k-2016-05-16 16.08.10‚Hättest du nicht Lust, einen Steampunkroman zu lesen‘, fragte mich der Autor per Mail. ‚Klar gerne‘, antwortete ich und dachte erst nach Erhalt des Buches ‚Was ist eigentlich Steampunk?‘. Inzwischen, nach der Lektüre dieses Buches, weiß ich es und keine Sorge, wenn ihr weiterlest, werde ich es euch auch verraten.

Alles dreht sich um Emma. Emma ist die Tochter eines Professoren Heisenberg, der sich ein Luftschiff mietet, um einen neuen Kontinent zu ent- und sich mit Silber von dort einzudecken. Emma assistiert ihrem Vater, spricht zahlreiche Sprachen, zeichnet exzellent und ist generell stets an der Seite ihres Vaters. Und, was man auch recht schnell merkt, sie ist halb mechanisch. Nach einem Attentat auf sie hat ihr Vater ihr ein mechanisches Herz, eine mechanische Lunge und ein künstliches Auge eingebaut. Nach kurzer Zeit stellt sich heraus, dass ihr Vater diese Mechaniken nutzt, um sie zu konditionieren, um sie gefügig zu machen – denn er hat die Kontrolle über ihren Aufziehschlüssel. Auch die Luftschiffbesatzung wird darauf aufmerksam und so nutzt sie die Situation auf dem Luftschiff auf, um Emma im Rahmen ihres Möglichen einige Freiheiten zu gewähren. Immer mehr Ungereimtheiten treten auf und es wird klar, dass der Professor nur ein herrschsüchtiger Jäger nach Silber ist, er keine wissenschaftlichen, sondern nur kommerzielle Motive hat. Nach der Entdeckung des Kontinents dort wird die Besatzung von den Einheimischen festgenommen, Emma kann durch ihre Mechanizität ihre Befreiung veranlassen; die Einheimischen sehen sie als Göttin an und sorgt dafür, dass ihr Vater mit seinem Assistenten gefangen gehalten bleibt. Nach einem Aufenthalt dort und einem Showdown auf der Rückreise ist der Vater besiegt, doch Emma wurde getroffen und muss operiert werden – Christian, der Bordkapitän, der auch in sie verliebt ist – hatte schon unterwegs ein neues Uhrwerk angefertigt. Doch nach der Operation ist Emma wie nach einem Schlaganfall kaum ansprechbar. Nach der Rückkehr nach Bayern kehren sie bei einem Bergvolk an einer heilenden Quelle ein, wo Emma geheilt werden soll – doch das Wasser der Quelle allein reicht noch nicht. Und auch nach dieser Episode vergeht noch einige Zeit, bis sich schließlich alles zum Guten wenden kann.

Mit fast 300 Wörtern ist das eine unfassbar lange Zusammenfassung gewesen – und doch habe ich das Gefühl, kaum einen Eindruck vom Buch wiedergeben zu können, weil das Buch einfach enorm umfangreich ist. Meine Ausgabe hat 450 Seiten, die Schrift ist winzig und die Seiten groß. Inzwischen gibt es eine Ausgabe mit 700 Seiten, die eine etwas größere Schrift hat, aber auch an dieser wurde noch die kleine Schriftart bemängelt. Der Roman ist einfach irre umfangreich und es passiert jede Menge – was aber nicht unbedingt negativ zu verstehen ist. Ich finde, an einigen Stellen hätte man kürzen können, hätte man gut und gerne etwas weglassen können, einige Situationen neigen auch dazu, sich zu wiederholen. Andererseits ist es durchaus nachvollziehbar, dass Steinmetz sich in Details verstrickt, weil es in einer Parallelwelt spielt, in der alles erklärungsbedürftig ist. So war das auch gar nicht störend, lediglich Kleinigkeiten sind eben irgendwann redundant. Ganz persönlich hätte ich noch anzumerken, dass ich Verschriftlichungen von Dialekt nicht mag. Das ist so eine Eigenheit von mir, die mir im Buch aber das ein- oder andere Mal aufgefallen ist.

Insgesamt aber fand ich das Buch mehr als gelungen. Es fühlt sich an, als befänden wir uns im frühen 19. Jahrhundert, Dampfmaschine und Elektrizität sind die Neuerungen der Stunde, Mechanik und Elektrik die dominierenden Motive des Buches. Und ziemlich genau dieser Geist der Weltausstellung von Chicago, der Eisenbahnen und Luftschiffe ist es, der das ganze Steampunk-Genre ausmacht. Es ist eine wahrhaft faszinierende Zeit, auch mein Lieblingsautor Hohlbein siedelt seine phantastischen Geschichten oft in dieser Zeit an.

Die Charaktere sind klar definiert und machen im Prinzip nur wenig an Entwicklung durch. Heisenberg als zunächst versteckter Antagonist, Emma als die Hauptfigur, die auch tatsächlich eine emanzipative Wandlung durchmacht, viele weitere Charaktere bleiben allerdings eher unverändert – und das ist auch gut so, weil sie einen festen Bezugsrahmen für die ohnehin schon sehr dynamische Handlung mit häufigen Orts- und Besetzungswechseln bieten. So ist es dann auch in der Natur der Sache, dass trotz eines umfangreichen Epilogs und vieler abgeschlossener Enden einige Handlungsstränge unvollendet bleiben. Aber wirklich dramatisch ist auch das nicht, denn die enorm starke Handlung und die vielen guten Ideen des Romans trösten über diese kleinen Schwachstellen bei weitem hinweg.

Wer also gerne Steampunkromane, also quasi die industrialisierte Form von Fantasyromanen, die ja gerne in einem stilisierten Mittelalter angesiedelt sind, liest, findet im Aufziehmädchen Emma einen wirklich gelungenen Vertreter seiner Art, bei dem man sich auf eine lange Reise einlässt, aber mit einer wahnsinnig starken Geschichte belohnt wird. Für das Buch vergebe ich so gut und gerne 4/5 Sternen. Überflüssig zu erwähnen, dass man dem Buch höchstens am Satz ansieht, dass es ‚nur‘ von einem Indie-Autor stammt, oder?

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