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Absurda Comica – Andreas Gryphius

k-2016-06-03 23.58.19Es ist schon erstaunlich. Frühe Gedichte von Goethe können wir problemlos verstehen, die Sprache erscheint uns scheinbar vertraut, obgleich diese Werke schon fast 250 Jahre alt sind. Kaum ein Jahrhundert zuvor, in der Epoche des Barock, finden wir Werke von Andreas Gryphius, die schon deutlich weiter weg und sprachlich befremdlicher wirken, man braucht deutlich mehr Zeit, um sich dort hineinzudenken – bei Barockgedichten mag das noch machbar sein, aber gerade Barockromane gelten gemeinhin als sehr schwer zu lesen – auch ich drücke mich bisher noch vor den Simplicissimus. Nun also ein barockes Theaterstück, eine Komödie, ein ‚Schimpff-Spiel“, wie Gryphius es selbst bezeichnet, das den Weg auf diesen Blog findet – und damit auch zugleich das älteste im Original deutschsprachige Werk, das ich bisher hier rezensiert habe, wenn ich das richtig im Kopf habe – denn das Werk ist 1657 erschienen, also vor knapp 360 Jahren.

Die Hauptfigur, Peter Squenz aus dem Stand der Handwerker hat erfahren, dass der König gerne Komödien sieht und plant mit einigen seiner Freunde eine Aufführung der Tragödie ‚Pyramus und Thibse‘ von Ovid. Damit der König etwas beeindruckter ist, stellt er eine Liste auf, unter der sich der König ein Stück aussuchen soll, tatsächlich findet er jedoch für jedes andere Stück eine Ausrede und so kommt es tatsächlich zur Aufführung dieses Stückes vor dem Hof, welches so schlecht und stümperhaft aufgeführt wird, dass die Zuschauer mehrmals dazwischenrufen und kopfschüttelnd dem Geschehen bewohnen. Schlechte Verse, Schlägereien auf der Bühne, jede Menge Fehler, Texthänger und andere Katastrophen begleiten die Aufführung der Handwerker. Der König, der ein solches Ungeschick schon erwartet hat, entlohnt die Handwerker dennoch großzügig, immerhin hatte man sich doch gut amüsiert.

Das Stück ist ziemlich kurz, kaum 45 Seiten Text umfasst meine Ausgabe und es ist eine der frühesten Adaptionen von Shakespeares Sommernachtstraum, in dem es ja auch um eine Inszenierung von Pyramus und Thisbe geht. Hier ist die Situation in die barocke Ständeklausel eingebunden, es findet eine deutliche Abgrenzung des Adels, der als Zuschauer rhetorisch brillant auftritt und dem einfachen Volk, das sich in seinen sehr freien Knittelversen leidlich abmüht, um möglichst adlig zu wirken, dabei aber immer wieder versagt und deren Versuche letztlich nur zur Erbauung des Adels dienen. Dieses Stück-im-Stück-Motiv, das auch im Sommernachtstraum auftauchte, findet auch hier statt, es gibt zeitweise drei Dialogebenen. Zunächst das Stück, wie es von Herrn Peter Squenz geschrieben wurde, dann die freien Improvisationen und Gezänkereien der Spielenden bis hin zur Interaktion mit den Zuschauern, die sich hin und wieder einschalten.

Deutlich wird auch, dass wir uns epochengeschichtlich noch vor der Renaissance der antiken Dramentheorie befinden. Das berühmte Fünfaktschema von Freytag, das heutzutage im Schulunterricht gelehrt wird, wurde erst zwei Jahrhunderte später aufgestellt, grundsätzlich war der funktionale Dramenbau zwar schon bekannt, dieser wird Anfang des Jahrhunderts beispielsweise von Martin Opitz thematisiert und kommen auch in dem Stück vor – so kündigt Squenz ja auch explizit Fünf Akte des Stücks im Stück an und im weitesten Sinne ist auch der erste Akt als Exposition von Schauspielern und Stück zu sehen und dass im dritten Akt mit der Aufführung eine Art Katastrophe und anschließende Lösung stattfindet, ist auch unbestritten, aber es fügt sich sicherlich nicht perfekt in dieses Dramenschema ein, ist also definitiv kein geschlossenes Drama (aber auch nicht ein ‚offenes Drama‘ im Sinne des Woyzeck).

Ich fand die Absurda Comica unglaublich interessant zu lesen. Einerseits macht es Spaß, mal einen Blick auf die Konfrontation der Stände zu werfen, also die Einhaltung der Ständeklausel trotz Aufeinandertreffen der beiden Gruppen, andererseits ist das Drama aber auch unglaublich witzig. Die Aufführung geht so gnadenlos schief, die Verse der Handwerker sind so unbeholfen und das Aufeinandertreffen ist voller Wortwitz (An einer Stelle wirft ein Adliger ein, der Vers habe so unglaublich viele Füße, also so viele Hebungen, worauf der Handwerker antwortet, dass der Vers dann ja besser gehen könne), sodass ich das ein- oder andere Mal kurz davor war, laut aufzulachen.

Ich gebe zu, der barocke Stil ist definitiv gewöhnungsbedürftig – vor allem bei meiner textkritischen Edition, in der beispielsweise das I am Wortanfang als J geschrieben wird oder die Umlaute noch nicht mit Pünktchen, sondern mit hochgestelltem e über dem Vokal gekennzeichnet sind – aber auch sprachlich ist einiges ungewohnt. Wer sich aber mal darauf einlässt, erhält mit Absurda Comica eine Perle der deutschen Theatervergangenheit. Ich würde das Stück gerne mal auf der Bühne erleben und vergebe bis dahin aber gerne volle 5/5 Sternen für dieses Stück Barockgeschichte.

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