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Der alte Mann und das Meer – Ernest Hemingway

Die amerikanische Literatur trug lange Zeit das Stigma einer unterentwickelten Kultur, die nichts zur Weltliteratur beizutragen habe. Im Vergleich mit den großen europäischen Romanen fehle es an großen literarischen Werken amerikanischer Autoren. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts, aber besonders im 20. Jahrhundert schließt sich diese Lücke, mit Moby Dick oder dem großen Gatsby sind bedeutende Werke der Weltliteratur in Amerika entstanden. Eines dieser Werke, wenngleich kein Roman, ist sicherlich auch ‚Der alte Mann und das Meer‘, das ich in seiner Originalsprache gelesen habe.

Die Handlung dieser knapp 100 Seiten starken Novelle ist so simpel wie vielschichtig. Ein alter Fischer hat schon lange Zeit keinen Fang mehr gemacht. Er fährt alleine weit hinaus und fängt einen besonders großen Marlin, der zu groß für sein Boot ist, weshalb er ihn hinter sich herzieht. Zwei Tage lang zerrt er an ihm, bis er ihn schließlich mit der Harpune erlegt, in dieser Zeit entwickelt er eine Verbundenheit zu seinem Fisch. Er macht sich auf den Heimweg und muss miterleben, wie sein Fisch von Haien aufgefressen wird, die er zunächst bekämpft, schließlich aber nur noch mit dem Skelett des Fisches zurückkehrt.

Als ich die Novelle gelesen habe, fiel mir zunächst die ungewöhnliche Sprache auf. Einfache und klare Sätze, teils elliptisch geben die Gedanken- und Gefühlswelt des alten Mannes deutlich wieder. Er befindet sich im Einklang mit der See und das spiegelt sich auch in der Sprache wieder. Im zweiten Schritt wird deutlich, wie minimal die Besetzung der Novelle ist. Der alte Mann hat einen Gehilfen, den er jedoch zurücklässt, über den er manchmal nachdenkt, ansonsten gibt es nur ihn und den Fisch, die beide einen Kampf um ihre Existenz führen. Die Welt des alten Mannes ist sehr klein und doch unendlich. Es gibt das Hafenlokal, seine Hütte, Joe DiMaggio und die See. Im dritten Blick auf das Buch werden die Anleihen an Moby Dick – Kampf eines Einzelnen mit dem Meerestier und Veröffentlichung ziemlich genau hundert Jahre später – deutlich und ein vierter Blick auf das Buch gibt das Rätsel der allegorischen Bedeutung auf. Der Fisch ist ein typisch christliches Symbol, das Schicksal des alten Mannes erinnert an Hiob. Die Beziehung zwischen Fisch und Mann, gestaltet sich sehr einseitig, aber verändert sich, der Mann entwickelt eine fast religiös-verehrende Beziehung zum Fisch, den er als quasi heilig ansieht, bis die Haie ihn entehren und damit seinen Untergang mit zementieren. Zeitgleich ist der Fisch aber auch Ware, der Fischer freut sich auf den Erlös, der die Monate ohne einen einzigen Fang kompensieren soll.

Was ich nun über das Buch denken soll, weiß ich noch immer nicht. Ich kann die Lektüre auf jeden Fall empfehlen, es ist eine prinzipiell simple und doch beeindruckend geschriebene Geschichte. Gattungstechnisch könnte es sich auch lohnen, die Merkmale der europäischen Novelle auf diese amerikanische ‚short novel‘ anzulegen. Die knapp 100 Seiten sind recht zügig gelesen und es handelt sich bei dem alten Mann und dem Meer sicherlich um eine der großen Erzählungen der Weltliteratur. Nicht umsonst erhielt Hemingway trotz gemischter Kritiken unter anderem für dieses Welt den Literaturnobelpreis – womit er einer der ersten Nobelpreisträger sein dürfte, die in diesem Blog verewigt werden. Ich tue mir sehr schwer damit, hierfür eine Bewertung zu vergeben, denn es wird zwar sicherlich nicht mein Lieblingsbuch werden, ich hatte dennoch eine gute Zeit mit dem Buch und habe seine Lektüre sehr genossen. Ich gebe mal 4,5/5 Sternen, jedoch mit der Maßgabe, diese Bewertung nicht als Literaturkritik, sondern als persönliche Genusswertung aufzufassen.

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