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De profundis – Georg Trakl

Im heutigen Gedicht kehren wir in den Expressionismus zurück, eine Epoche, die ich sehr gerne mag, weil die Gedichte starke, wenn auch oft sehr fatalistische Botschaften transportieren. Wir lasen bereits Kleine Aster von Gottfried Benn – und wie schon damals lernen wir heute wieder ein Gedicht kennen, das sich nicht in ein enges Formenkorsett zwingen lässt.

Doch erstmal zum Gedicht: Hier ist es: http://gutenberg.spiegel.de/buch/georg-trakl-gedichte-5445/6

Formal gibt es gar nicht so viel zu beobachten. Es beginnt in der ersten Strophe relativ jambisch und dreimal mit dem Versanfang „Es ist ein“, die sechs Strophen umfassen zwischen drei und vier Versen, die Verse haben zwei bis sieben Hebungen. Reime gibt es nicht einen einzigen. Auch ansonsten fallen nur Kleinigkeiten auf. In Vers 6 eine hübsche Alliteration „Sammelt, sanfte, spärliche“ – und ansonsten sieht man die für Gedichte typische starke Sprache mit kraftvollen Wörtern – das ist übrigens eine der ganz besonderen Eigenschaften der deutschen Sprache, dass sie solche starken Begriffe bilden kann – das Englische entlehnt sich sollte Begriffe sehr gerne.

Auffällig an diesem Gedicht ist der starke biblische Bezug. De profundis, der Titel ist der Beginn des Psalms 130, die in der zweiten Strophe auftretende „sanfte Waise“ ist vermutlich eine Nonne; ihr „Schoß harrt des himmlischen Bräutigams“. Zu Beginn sind die Naturbilder auch sehr stark, aber sie kündigen schon davon, was passieren wird. Leer Hütten, schwarzer Regen, der einsame Baum – die Erzählstimme kommentiert das Bild dann treffend: „Wie traurig dieser Abend“.  Schließlich stirbt die Nonne, ihre Leiche wird verwest gefunden – in einem Dornenbusch. Schon wieder eine biblische Anspielung. Man könnte das ganze jetzt persönlich deuten, zumal die folgenden Verse die Emotionen der Erzählstimme wiedergeben, der Erzähler ist nach dem Tod verzweifelt, glaubt, der Gott habe sie verlassen und verzweifelt daran.

Mir liegt jedoch eine andere Deutung, die sich ein bisschen am historischen Kontext orientiert, etwas näher. Das Gedicht entstand um 1910 herum, eine Epoche, in der die Stimmung sehr aufgeladen ist. Die Industrialisierung fordert ihren Tribut, das Leben ist für die Arbeiterklasse furchtbar und völlig ohne Perspektiven, man lebt in der ständigen Angst vor Krieg, in den Städten sind Armut, Elend und Dreck von den Fabrikhallen an der Tagesordnung. Die Nonne liegt im Dornbusch, verwest. Der Dornbusch ist seit jeher ein göttliches Symbol. Gott erschien im brennenden Dornbusch, im Adventslied „Maria durch ein Dornwald ging“ tragen die Dornen Rosen, wenn Jesus vorbeischaut. Aus dieser Perspektive liegt es durchaus nahe, die Leiche im Dornbusch als den Tod Gottes zu sehen. Gott hat diese furchtbare Welt verlassen und damit ist das Leben sinnlos – Gottes Schweigen trinkt die Erzählstimme, kaltes Metall und Spinnen, Unrat und Staub umgeben es. Und schließlich der Wiederklang kristallener Engel – die passen noch nicht so ganz in mein Bild, aber ich könnte mir vorstellen, dass das nur ein Echo, ein Trugbild ist, das die Erzählstimme im Tod erwartet, aber nur seinen Wiederklang hört.

Klar, wirklich nahe liegt diese Deutung nicht, aber ich finde sie dennoch relativ treffend. In jedem Fall ist das Gedicht kein sonderlich schönes und entspanntes Gedicht, sondern es ist dramatisch. Aber ich hatte ja schon mal erwähnt, dass genau das den Reiz an Gedichten für mich ausmacht – und so werdet ihr an dieser Stelle wohl noch einige Male eher deprimierende oder grausame Gedichte lesen.

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