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Bahnwärter Thiel – Gerhart Hauptmann

k-P1010082Mit dem Titel ‚Eine novellistische Studie‘ unterschrieben, ist Bahnwärter Thiel eines der bekanntesten Werke Gerhart Hauptmanns. Die mit rund 35 Seiten ziemlich kurze Erzählung wurde im Jahr 1888 und lässt sich in den Kontext des Naturalismus einordnen – einer Strömung also, die sich auf die unveränderte Darstellung von Natur und Gesellschaft so wie sie wirklich ist, inklusive der Darstellung sozialer Nöte, konzentriert.

Wir begegnen Thiel, einem Bahnwärter, der nach dem Tod seiner geliebten Frau eine neue Zweckehe einging, um seinem noch sehr jungen Sohn eine gute Erziehung in den Händen einer Frau zu beobachten. Die Frau jedoch ist ein tyrannisches Weib, die sein Leben völlig kontrolliert und seinen Sohn zudem auch noch misshandelt – er ist jedoch so von ihr abhängig, dass er sich nicht gegen sie durchsetzen kann, selbst als er gerade mitbekommt, wie sein geliebter Sohn verprügelt wird.

Die Szenerie spitzt sich zu, als die Familie einen Acker direkt neben Thies Wärterhäuschen bekommt und die Frau auf einmal in seinen Arbeitsbereich eindringt. Es kommt zur Katastrophe. Thiels Sohn wird von einem durchfahrenden Zug getroffen und stirbt einige Zeit später. Thiel kann diese Tragödie und diese Ungerechtigkeit, dass es _sein_ Sohn war und nicht etwa die Tochter, die er mit seiner neuen Frau hat, nicht verkraften und tötet beide. Er kommt in eine Nervenheilanstalt.

Ich hoffe, ihr nehmt mir nicht übel, dass ich das Ende gespoilert habe, aber gerade bei diesen Klassikern darf mein Blog auch gerne dazu dienen, eine angemessene Zusammenfassung zu liefern.

Bahnwärter Thiel ist eine wunderbare kleine Novelle – wenn man den Text denn so bezeichnen möchte. Im weitesten Sinne erfüllt er durchaus die Novellenkriterien, eine kurze Geschichte mit einer unerhörten Begebenheit – aber da wir uns in einer Zeit der aufbrechenden Textformen befinden, würde es sicherlich auch als Kurzgeschichte oder einfach als Erzählung durchgehen. Unübersehbar ist der oben genannte Einfluss des Naturalismus, man betrachte etwa die Anspielungen auf die soziale Frage durch den Antihelden Thiel, der nicht nur seinen eher tristen Arbeitsalltag darstellt, sondern letzten Endes auch daran zerbricht. Er wird wie eine determinierte Figur, nicht Herr seiner Handlungen, ein Getriebener und Abhängiger seiner Frau.

Mir hat der Bahnwärter ziemlich gut gefallen, eine tolle Geschichte, die sich leicht und einfach lesen lässt – die Sprache ist gut verständlich und das Büchlein ist spätestens in einem Stündchen durchgelesen. Die Geschichte ist interessant und kurzweilig und kann man sicherlich mal gelesen haben. Ich würde es jetzt nicht unbedingt zu den absoluten Must-Reads der Geschichte zählen, aber es gibt durchaus einen guten Eindruck einer Form des Naturalismus und es ist sicherlich ein lohnenswertes Stückchen Literatur. Wenn man sich damit beschäftigen möchte, könnte man sich an die Eisenbahn als Symbol für die beginnende Industrialisierung und ihren Charakter im Text halten oder sich mal die Farbsymboliken halten. Ich habe nur mal den Wikipedia-Artikel gelesen, aber das scheint einiges herzugeben. Der ist zwar absolut ungenügend belegt, liefert aber durchaus einige Anhaltspunkte, an denen man sich mal austoben könnte.

In diesem Sinne ist mir dieses Heftchen durchaus 4/5 Sternen wert. Ein schöner Text, den man sicher mal lesen kann – und wer sich nicht das Reclam-Heftchen für unter zwei Euro kaufen möchte, kann sich auch den Text in verschiedenen Formaten auf dem eBook Reader laden oder ihn einfach im Browser lesen. Kostenlos über das Gutenberg-Project.

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