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Postdemokratie – Colin Crouch

Manchmal bin ich unsicher, ob ich ein Buch, dass ich primär für die Uni lese, auch hier in meinem Blog besprechen möchte – ich habe dabei meistens ein Kriterium: Wird das Buch bei einem Publikumsverlag veröffentlicht und richtet sich nicht nur an ein wissenschaftliches Publikum, ist nicht von einem Wissenschaftsverlag veröffentlicht worden. Ich würde vermutlich niemals ein Buch von Oxford University Press oder vom Nomos Verlag hier besprechen. Unser heutiger Titel stammt aus dem Suhrkamp-Verlag, der gerade im Bereich der (politischen) Soziologie viele Bücher aus der Wissenschaft veröffentlicht. Und dieses Buch hat auch über die Wissenschaft hinaus einen großen Nimbus ausgelöst – weshalb ich es hier auch gerne besprechen möchte.

Colin Crouch lehrte Governance und Public Management an der Universität Warwick und ist assoziiertes Mitglied des renommierten Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung – das Institut, dem Fritz Scharpf lange Zeit vorstand. Seit 2011 ist er emeritiert, bereits 2004 erschien jedoch sein Buch Post-Democracy, 2008 in deutscher Übersetzung. Seitdem sind zwei Nachfolgebücher erschienen und er ist bis heute präsent in den Medien und gilt gemeinhin als Advokat der Umverteilungspolitik.

In seinem Buch beschreibt er, dass wir seit den 80er Jahren zunehmend in einer postdemokratischen Zeit leben. Postdemokratisch heißt dabei, dass die demokratischen Institutionen weiterhin Bestand haben, wir gehen nach wie vor zu Wahlen – noch nie wurde in so vielen Ländern demokratisch gewählt, wie heute – aber das Regieren findet fernab demokratischer Legitimation statt. Beteiligung von Bürgern gibt es, wenn überhaupt, nur auf lokaler Ebene, Parteien veranstalten PR-Kampagnen statt inhaltlicher Wahlkämpfe und die inhaltlichen Absprachen finden in Arenen statt, die mit demokratischer Legimitation zu tun haben, gemeint ist hierbei Lobbyismus, Politikberatung und Lenkung in Regierungstreffen. Dabei lassen die Bürger das mit sich machen und werden sogar zunehmend uninteressierter an Politik – was für eine stetige Reproduktion des Systems sorgt. Zentraler Auslöser dafür ist die neoliberale Politik; der Abbau des Sozialstaates, die zunehmende Ökonomisierung der Gesellschaft und die Übertragung  von betriebswirtschaftlichen Prinzipien auf Staatshandeln und Gesellschaftsorganisation. In diesem effizienzorientierten Paradigma ist natürlich der Wille der Bürger meistens das ineffizienteste, was es gibt – vereinfacht gesagt.

In sechs Kapiteln wird diese Annahme mit all ihren Befunden ausgebreitet und auch relativ eindeutig dafür Stellung bezogen, Wege aus dieser Falle der Postdemokratie zu finden.

Ich muss sagen, mich hat das Buch ziemlich beeindruckt. Mit unter 200 Seiten ist es relativ kurz und für ein Fachbuch enorm gut und verständlich zu lesen. Wer sich noch nie mit derartigen Fragestellungen beschäftigt hat, wird etwas Mühe haben, aber kann das Buch auch gut verstehen, wer sich schon mit dem Themenkomplex beschäftigt hat, hat ein einfaches Lesevergnügen vor sich. Dabei sind die Befunde aus dem Buch gar keine weltbewegenden Neuheiten. Im Prinzip sind diese Befunde schon in den 90ern von führenden Politologen aufgestellt worden und werden seit mindestens zwanzig Jahren in der Literatur diskutiert. Das Label Postdemokratie als Umbrella Term, also als Sammelbezeichnung für verschiedene Phänomene eines Themenkomplexes erlaubt es jedoch, dies auf einen Nenner zu bringen, um dann als geballtes „Plädoyer für Umverteilung“, wie ich es beschrieb, zu verwenden. Ich würde es nicht so eindimensional lesen, ich denke, in dem Buch steckt noch jede Menge mehr als nur die Forderung nach Umverteilung – aber dass Einkommensgleichheit auch für die oberen Schichten gut ist, ist inzwischen auch wissenschaftlich belegt (siehe dazu beispielsweise den TED von Richard Wilkinson) – und dass Umverteilung für Interesse an Politik und damit gut gegen den Einfluss von Wirtschaftslobbys führt ist übrigens die zentrale Argumentation von Crouchs drittem Buch.

Ich vergebe für das Buch keine Wertung. Ich finde es absolut plausibel, ich kaufe Crouch, der ja auch jahrelang in diesem Bereich geforscht hat, seine Diagnose absolut ab. Ich wage es jetzt nicht, hier zu sagen, dass Crouchs Diagnose absolut richtig sein muss – vor allem weil er auch wenig konkrete Handlungsmöglichkeiten liefert. Lesenswert ist das Buch dennoch für jeden, der sich auch nur annähernd für Probleme unser Gesellschaftsstruktur und unserer gesellschaftlichen Ausrichtung interessiert, sollte sich dieses Buch mal zur Brust nehmen – Schaden kann es niemandem.

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