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Berlin Alexanderplatz – Alfred Döblin

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Döblin sagt im Nachwort dieses Buches selbst von sich, dass sein Name wohl nun immer unzertrennlich mit Berlin Alexanderplatz verbunden werden bleibe. Und tatsächlich ist dieser avantgardistische Roman bis heute immer wieder rezipiert worden und wird gar mit der Ulysses von James Joyce verglichen.

Was ist dieses Buch also, was macht es aus, dass es so ungemein berühmt und dennoch wahrscheinlich so ungeheuer ungelesen ist? Es wäre mal eine interessante Arbeit, herauszufinden, wie viele der verkauften Exemplare dieses Buches nicht gelesen wurden, denn – und so viel schon mal vorneweg – es liest sich nicht besonders gut weg.

Das Buch selbst erzählt die Geschichte von Franz Biberkopf, Lohnarbeiter aus Berlin, der einige Jahre im Gefängnis in Tegel saß und nun versucht, sich in der anonymen Großstadt eine neue Existenz aufzubauen – aber dabei immer wieder scheitert. Als er sich mit einer Diebesbande einlässt, verliert er einen Arm und nur durch seine Gönner kann er weiter existieren. Erst nach vielen weiteren Wirrungen schafft er es – ich glaube im vierten Anlauf – als ein einfacher Fabrikarbeiter etwas resigniert ein anständiges Leben aufzubauen.

Aber diese Geschichte ist kaum von Relevanz, wenn wir über das Buch sprechen. Sicherlich, es ist schon eine ganz faszinierende Geschichte von dem Krüppel Biberkopf, der sich aber immer wieder über Wasser hält, den saloppen Umgang mit Frauen, den sein Freund – später sein erbittertster Feind – so pflegt. Auch ist es durchaus bemerkenswert, dass es in ganz Berlin, das uns Döblin vorstellt, scheinbar keine normalen Menschen zu geben scheint. Alle haben irgendwie ‚Dreck am Stecken‘, sei es Biberkopf selber oder sein Umfeld. Irgendwie sind alle im kriminellen Milieu angesiedelt. Was einem ins Auge sticht, ist jedoch etwas anderes.

Ich hatte eingangs erwähnt, dass das Buch nicht zum einfachen herunterlesen taugt. Das liegt an seiner Form und an seiner Sprache. In meinem Literaturwissenschaftslehrbuch wurde uns eine Passage aus dem Buch für die Erzähltechnik des ‚Stream of Consciousness‘, also des Bewusstseinsstroms abgedruckt. Das Buch ist komplett in dieser Erzähltechnik gehalten. Was dem Leser präsentiert wird, ist also eine wirre, zusammenhanglose Form von Gedanken, Eindrücken, erlebter Rede, inneren Monologen, Versatzstücken aus Weltliteratur, die scheinbar beliebig aneinandergereiht werden, Zitate aus Volks- und Kinderliedern, die sich wiederholen, Zahlen und Fakten aus Zeitungsartikeln und Werbetexten werden kombiniert mit Anachronismen, also einzelnen Sätzen, die sowohl kommende Handlung vorwegnehmen, als auch in einzelnen Absätzen eingefügte Beschreibungen von vergangenen Ereignissen und Hintergründen der Charakter. Das Buch ist ein komplettes Chaos.

Nein, natürlich ist es kein Chaos, aber man erkennt die Strukturen als Leser nicht. Man könnte jetzt sicherlich hingehen und die einzelnen Sätze den oben beschriebenen Erzählebenen zuordnen, aber da wäre man lange beschäftigt. Es geht auch gar nicht darum. Es geht vielmehr um den Eindruck, den man durch diese Erzähltechnik bekommt. Großstadt. In all ihrer Anonymität und Unübersichtlichkeit, aber mit dem festen Willen, ein Teil dieses riesigen unaufhaltsamen Zahnrades zu werden. Es erschlägt einen beim Lesen fast, die verschiedenen Ebenen zu sortieren und man muss sich Mühe geben, alles von der Handlung mitzubekommen.

Für alle Romanleser unter euch, die gerne zum Vergnügen einen unterhaltsamen Roman lesen, ist dieses Buch sicherlich nichts – überhaupt nichts. Wenn euch aber experimentelle Literatur reizt, ihr vielleicht schon mal Erfahrungen mit derartigen Büchern gesammelt habt, die sich ebenfalls als ‚moderne Literatur‘ bezeichnen lassen, dann solltet ihr euch auch mal mit Döblins Alexanderplatz auseinandersetzen. Für mich war es eine sehr anstrengende, aber auch aufregende und bewegende Reise durch das Berlin der Weimarer Republik und eine sehr anschauliche Darstellung – denn diese Erzähltechnik erfordert unweigerlich, dass sich zahlreiche Bilder im Kopf aufbauen und fast wie ein Film ablaufen.

Ich kann und möchte an dieser Stelle keine Wertung vergeben – das wäre sicherlich nicht angemessen. Wenn ihr euch mit sowas auseinandersetzen wollt, dann macht es, wenn nicht – nun, dann habt ihr jetzt immerhin mal davon gehört, dass es sowas gibt.

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