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Zwei Seiten einer Mauer – Alexander Stapper

k-2016-04-21 11.32.23Alexander Stapper schrieb mir eine Mail, ob ich nicht Lust hätte, seinen Debütroman zu rezensieren. Er beschrieb ihn als eine Dystopie, die das Mauermotiv auf eine etwas andere Art und Weise aufgreifen würde, gleichsam für Jugendliche wie für Erwachsene geeignet. Weil das Thema Dystopie ja auch hier im Blog immer mal wieder aufgegriffen wird, dachte ich mir, dass das ein durchaus reizvolles Buch sein könnte und ich sagte zu. Und enttäuscht wurde ich wahrlich nicht.

Wir befinden uns in einer kleinen Stadt. Nach einer großen Epidemie wurde eine Mauer gebaut, um die Infizierten aus der Stadt fernzuhalten; die Bewohner organisieren sich selbstständig und versuchen – durch Ackerbau, Arbeit und Selbstverwaltung – ihre Zukunft zu sichern. Dabei werden sie von einem hohen Rat regiert. Eine Gruppe Jugendlicher, unter ihnen Theo, fängt an Fragen zu stellen. Nicht laut, aber im Geheimen fragen sie sich, warum so viele scheinbar sinnlose Regeln das Leben der Bewohner einschränken, vor allem aber, warum niemand je den hohen Rat sah und warum sie wirklich nach Abschluss der Schule 12 Stunden am Tag arbeiten müssen. Sie stoßen darauf, dass es nächtliche Transporte gibt und dass im Krankenhaus ziemliches Schweigen in Bezug auf die Patienten gibt. Und dort verschwand einer ihrer guten Freunde und kehrte nie wieder zurück. Schließlich stoßen sie auf eine Reihe von Lügen und Geheimnissen, die ihre gesamte Existenz in Frage stellt.

Zwar ist Stappers Dystopie für ein Jugendbuch schon relativ umfangreich, dennoch war mir dieses Buch entschieden zu kurz. In einer solchen neuen Welt ist einfach alles erklärungsbedürftig, weil das gesamte Leben auf eine völlig andere Weise organisiert ist, als es bei uns funktioniert. Stapper nimmt sich für die Beschreibung des Alltags und des Lebens innerhalb der Mauer viel Zeit und schafft es, ein konsistentes Bild dieser postapokalyptischen Welt zu zeichnen. Es liegt dann ein bisschen in der Natur der Sache, dass die Dekonstruktion der Welt, die darauf folgt, dann etwas kurz geraten ist. Die zahlreichen neuen Ebenen, die dann im zweiten Teil des Buches eingeführt werden, werden teilweise dann nur so weit wie nötig beschrieben, dabei wäre es unglaublich spannend gewesen, dort noch viel mehr Details zu erfahren.

Dafür jetzt aber große Abstriche in der Bewertung zu machen, wäre schlichtweg nicht angemessen. Stapper schreibt modern und lebendig, die Protagonisten, die sogar noch eine kleine Liebesgeschichte umgibt, sind durchweg in sich schlüssig und handeln nachvollziehbar, sie sind mehr als nur Mittel zur Handlung, sondern harmonieren gut mit der Geschichte. Der Roman lässt sich gut lesen, er ist spannend geschrieben und die Thematik des Romans ist höchst brisant. Ich hatte schon mehrmals davon gesprochen, dass im Moment die Jugenddystopien wie Pilze aus dem Boden schießen und es liegt Nahe, auch Zwei Seiten einer Mauer dieser Strömung zuzuordnen. Die Thematik einer Gesellschaftslüge, in der eine ganze Gruppe von Menschen gelassen wird, ist eine, die nicht grundsätzlich neu ist, aber die hier in einer Perspektive aufgegriffen wird, die ungewöhnlich ist. Der Fokus liegt hier auf der Mauer. Mauern finden sich in vielen dieser Dystopien, sie sind fast schon notwendiges Element einer Dystopie, aber oft ist die Mauer metaphorisch, in den Köpfen vorhanden oder nur Beiwerk. Hier ist sie von Anfang an handlungstragend; aus ihr entwickelt sich die Handlung und sie ist es, die den Konflikt zum Ausdruck bringt. Es ist weniger ein Roman über das Eingesperrt sein, als einer über das Herausfinden von Widersprüchen eines gesellschaftlichen Narrativs – denn nichts anderes unternehmen die Jugendlichen.

Ich denke, es ist offensichtlich geworden, dass ich mit Stappers Debütroman einiges anfangen konnte. Als ich den Titel las, dachte ich zunächst an eine Art Wenderoman, damit hat der Roman jedoch gar nichts zu tun. Wer also eine gut geschriebene Jugenddystopie sucht – und vielleicht nicht immer bei den großen Publikumsverlagen einkaufen möchte – ist mit diesem Indie-Roman gut bedient. Denn die für Bücher im Selbstverlag typischen Kinderkrankheiten sind praktisch nicht vorhanden, der Roman hätte genauso gut einen großen Verlag finden können. Und mit knapp drei Euro für das eBook ist das überdies noch ein Schnäppchen. In diesem Sinne vergebe ich gerne 4/5 Sternen für die gelungene Dystopie und freue mich schon auf mögliche weitere Romane des Autors.

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