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Weihnachtslied, chemisch gereinigt – Erich Kästner

Unglaublich, heute ist der erste Advent! Wie sieht es bei euch mit Weihnachtseinkäufen aus? Ist die Ente schon im Tiefkühler? Schon einen Weihnachtsbaum? Ich muss sagen, ich bin noch nicht so wirklich in Weihnachtsstimmung – es ist ja noch nicht mal Dezember! Ich habe für euch als Adventsaktion in diesem Jahr einige Weihnachtsgedichte herausgesucht – insgesamt fünf verschiedene Gedichte werde ich euch in diesem Jahr präsentieren, die allesamt etwas mit dem Thema Weihnachten zu tun haben. Und weil ich noch nicht so wirklich in der Stimmung bin, fangen wir heute mit einem Gedicht an, dass Weihnachten zum Thema hat, aber nicht wirklich besinnlich ist. Erich Kästner schrieb dieses Gedicht im Jahr 1928 – aber es hat nichts von seiner Brisanz verloren. Hier einmal für euch zum Mitlesen www.lesekreis.org/2007/12/20/weihnachtslied-chemisch-gereinigt-von-erich-kaestner-1928/

Formal gibt es zu diesem Lied relativ wenig zu sagen. Es ist eine Satire auf das bekannte Weihnachtslied „Morgen Kinder wird’s was geben“ und fügt sich auch metrisch in diesen Liedcharakter ein. Vier Hebungen pro Vers, es beginnt mit einer Hebung (Man spricht von einem Trochäus: betont-unbetont), sechs Verse pro Strophe. Der Rahmen wird auch durch die Vorlage vorgegeben, somit ist das nicht nur eine textliche Bezugnahme, sondern eine direkte Satire bzw. Parodie dieses Liedes. Zum Original ist vielleicht noch zu sagen, dass es sich bei „Morgen Kinder…“ um ein säkulares Weihnachtslied handelt – um die Geburt Christi oder andere göttliche Bezüge geht es dort gar nicht, sondern es ist ziemlich materialistisch auf die Geschenke bezogen. Und das ist genau der Anknüpfungspunkt der Satire.

Geschenke gibt es nur dort, wo Geld für Geschenke da ist. Und Geld für Geschenke bleibt nur dann übrig, wenn dafür ein Anderer auf diese verzichten muss („Reiche haben Armut gern“). Reiche werden reicher („nur wer hat kriegt noch geschenkt“), aber das ist doch auch gar nicht so schlimm, weil Geschenke ohnehin nicht glücklich machen. Ich denke, die Botschaft ist grundsätzlich relativ klar. An diesem Gedicht ist – schaut man sich den Wikipediaartikel an – ziemlich heruminterpretiert worden. Man sieht es als Reaktion auf die soziale Spaltung der Weimarer Republik, man sieht es als neue Sachlichkeit und schließlich als ein politisches Gedicht. Unzweifelhaft präsentiert das Gedicht in jeder der sechs Strophen eine Möglichkeit, sich dennoch mit den Gegebenheiten zu arrangieren – bis hin zu dem Glauben an einen Gott, der im Original ja eben nicht vorkommt. Kästner ist dafür kritisiert worden, dass sein Gedicht nicht aufrührerisch, nicht revolutionär genug sei und sich damit eigentlich disqualifiziere, aber ich hatte – schon weit vor der Lektüre des Wikipediaartikels – das Gefühl, dass Kästner zwar keine Revolution anzettelt, aber dass er durchaus dieses revolutionäre Potenzial in sich trägt und dass es nicht darum geht, sich damit abzufinden, sondern dass mich da beißender Zynismus anspringt.

Man könnte noch ein Wort über die Worte verlieren. Es dekonstruiert jegliche Weihnachtsromantik und ich bin mir nicht sicher, was ich damit anfangen soll. Will Kästner dem Weihnachtsfest wirklich jegliche Romantik wegnehmen oder ist es ein Plädoyer für den spirituellen Wert Weihnachtens? Man könnte es auch so lesen, dass durch das radikale Aufgreifen des kommerziellen Anteils Weihnachtens der spirituelle, nachdenkliche und besinnliche Anteil Weihnachtens hervorgehoben wird. Oder ist eine Kritik an dem Fest an sich. Wenn es ohnehin nur noch um den Kommerz geht, kann man das Fest doch auch gleich weglassen, weil es ohnehin nur die Ungleichheit reproduziert.

Und mit diesen etwas unentschiedenen Worten futtere ich jetzt noch ein paar Weihnachtskekse und wir sehen uns nächste Woche dann mit einem echten Weihnachtsklassiker weiter. Fröhlichen 1. Advent euch!

 

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