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Vereinsamt – Friedrich Nietzsche

Wir hatten in dieser Serie schon viele Klassiker, viele namhafte Autoren, viele Gedichte, die in der Form auch in der Schule analysiert werden. Heute kommen wir zu einem Gedicht, das weniger bekannt ist, auch weil es nicht von einem normalen Dichter verfasst wurde, sondern von jemanden, den man weder primär wegen seiner Gedichte, noch wegen seinem Walrossbart kennt – sondern von einem Philosophen: Friedrich Nietzsche.

Ich muss gleich zu Anfang sagen, dass dieses Gedicht nicht wirklich gut zugänglich ist. Ich kenne mich mit dem Werk Nietzsches nicht gut aus und bin auch nie gut darin gewesen, Gedichte zu dechiffrieren. Und dieses Gedicht sollte im Kontext von Nietzsches Biografie und Gesamtwerk betrachtet werden und bedarf einer Dechiffrierung. Beim ersten Lesen kann man dort nämlich nur sehr wenig herauslesen. Hier aber erstmal der Text: http://gutenberg.spiegel.de/buch/friedrich-nietzsche-gedichte-3262/5

Fangen wir am Anfang an. Sechs Strophen, vierundzwanzig Verse. Es wechseln sich immer ein zweihebiger und ein vierhebiger Vers ab, der Rhythmus wirkt dadurch ziemlich flott, wird aber immer wieder von Satzzeichen, Zeilensprügen und langen Wörtern (Wüstenvogel-Ton) unterbrochen. Strophe eins und fünf bilden eine Klammer, die den Prozess des Vereinsamens; erst hat man noch Heimat, dann aber nicht mehr, ansonsten sind die Strophen sogar identisch und auch Strophe 2 und 4 gleichen sich in der Wortwahl und den Reimwörtern sichtbar.

Prägend für das Gedicht sind die zahlreichen Bilder. Die Krähe, als negativ konnotiertes Tier kündet vom Verlust der Heimat, die dann als Wüste bezeichnet wird, die Welt besteht ohnehin nur aus tausend Wüsten. Man könnte die Bilder jetzt einzeln auseinandernehmen oder das Gedicht hermeneutisch analysieren – wer spricht zu wem, wo stehen die Figuren? Aber für uns soll es reichen, wenn wir uns nochmal kurz den zeitlichen und biografischen Kontext anschauen. Wir befinden uns im ausklingenden 19. Jahrhundert und diese Dichte an sprachlichen Bildern ist typisch für eine Strömung, die wir Symbolismus nennen und die auch auf Nietzsches Menschenbild rekurriert. Es ist quasi eine Renaissance dessen, was wir letzte Woche haben: Der aufgeklärten Wissenschaft eine Ästhetik der Bilder, eine Symbolpoesie entgegensetzen. Es geht nicht so sehr um die Gefühle des Individuums, viel mehr um ein lyrisches Bild, dass zur Vollkommenheit beschrieben werden soll. Ist das hier der Fall? Nun, es geht schon etwas mehr ums Individuum aber das Bild der durch die Wüste ziehenden Krähen als Chiffre für die Einsamkeit ist schon relativ vollkommen dargestellt und insgesamt passt das Gefühl finde ich recht gut – ohne jetzt Experte für Symbolismus zu sein.

Aber das Gedicht ist ja eher Nietzsches späterem Werk zuzuordnen und Nietzsche litt in seinen letzten Jahren an psychischen Krankheiten und war generell in einem sehr instabilen Gesundheitszustand. Es ist also naheliegend, diesen Text nicht als Ausdruck äußerem, also faktischem einsam sein zu sehen, sondern als Ausdruck einer inneren Leere zu sehen. Also die Krähen und die Wüste nicht als Sicht auf die Welt, sondern als Ausdruck der Innenwelt zu sehen.

Ich weiß nicht so genau, was man mit dem Gedicht anfangen soll, ich denke, das ist eben klargeworden. Es ist ein anspruchsvolles Gedicht, das man aus einigen Perspektiven betrachten kann. Aber der Blick auf die Innenwelten scheint mir der zu sein, der noch am wenigsten diskutiert wird, denn die Analysen, die ich gelesen habe, fokussieren sich doch sehr stark auf die Chiffre selbst, als auf die Einordnung dieser. Aber aus dieser Perspektive kann man vielleicht am meisten für sich selbst mitnehmen.

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