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Uralter Worte kundig – Ricarda Huch

Ricarda Huch ist einer der Namen, die ich im Germanistikstudium bisher vergeblich suchte. Vage im Hinterkopf hatte ich durchaus schon von ihr gehört, aber ich kann sie nicht zuordnen und weiß auch nichts über sie. Für euch habe ich mich mal ein bisschen schlau gemacht: Sie ist eine der ersten Frauen der Geisteswissenschaften! Man liest ja immer die sensationellen Berichte von den frühen Frauen in den Naturwissenschaften; Ricarda Huch allerdings war Bibliothekarin und Übersetzerin, Historikern und Dichtern – und war eine der ersten deutschen Frauen überhaupt, die in einer Geisteswissenschaft promoviert wurden – im Jahre 1892!

Heute wollen wir jedoch etwas ihres literarischen Schaffens lesen. Uralter Worte kundig heißt unser Gedicht für heute – und weil es noch zwei Jahre vom Urheberrecht geschützt wird, kann ich es leider nicht einfach so verlinken. Es handelt sich um ein Liebesgedicht, ein Sonett, um genau zu sein – und trotz einer recht intensiven Sucher habe ich kein Datum finden können.

Die Sonettform hatte ich schon angesprochen, in zwei Quartetten und zwei Terzetten erzählt die Autorin über das Versöhnen von zwei Partnern nach einem Streit. Dazu bemüht Huch in den ersten Strophen einige Naturmetaphern, die Nacht kommt, das Gebirge rührt und alles wirkt so, als hülle die Nacht den Schleier des Versöhnens über alles. Der Streit wird in gleiche braune Tracht gehüllt und vergeht. In den Terzetten kehrt der (oder die?) Angesprochene schließlich heim und die beiden kommen sich nah, die Sehnsucht vergeht und die Körper vereinen sich.

Für mich wirkt das auf den ersten Blick wie eine relativ typische Beziehungsszene. Mehrere Deutungen kommen mir in den Sinn, möglicherweise ist ein Partner im Streit weggelaufen und kehrt dann in der Dunkelheit erschöpft heim, wo die Sehnsucht des anderen Partners schon wartet – vielleicht war dieser aber auch längere Zeit aufgrund einer Reise weg, der ein Streit vorausging, aber jedenfalls ist der Streit nur noch Schall und Rauch? Die Naturmetaphern deuten es an. Licht und Schatten söhnen sich aus, Abgrund und Gebirge nähern sich an, verschwimmen ineinander.

Doch etwas stört die Szenerie. Gehen wir davon aus, dass die Ich-Erzählerin eine Frau ist, so hält sie ihn und ist auch von ihm umschlossen, die Beziehung bleibt aber asymmetrisch. Es ist von ‚Deinem Leib und Leben‘ und ‚fühl ich Dich in Fleisch und Blut gegossen‘ die Rede, nie aber von ihr. Sie offenbart sich ihm nicht, sie vereint sich nicht mit ihm und vor allem – trotz dass es keinen Unterschied mehr zwischen dem einen und dem anderen gibt, gibt es noch immer kein ‚wir‘, die Aussage, es gäbe keinen Unterschied mehr in dieser expliziten Form legt genau dies nahe.

Apropos Form, die haben wir etwas vernachlässigt. Fünfzehn Verse, Reimschema abba, abba, cdc, ede – also eine relativ typische Sonettform. Das Versmaß wirkt auf den ersten Blick recht jambisch auf mich, aber es liest sich nicht so rhythmisch, eher etwas geschwungen und getragen (ur-AL-ter wäre die Betonung laut Versmaß, UR-al-ter wird es aber gesprochen), wirkt aber auf mich nicht unbedingt spielentscheidend für das Gedicht.

Es ist also alles in allem ein Liebesgedicht, ohne Epochenbezug, ohne sich wirklich in eine Strömung einordnen zu lassen. Das ist auch ohne Jahresangabe etwas schwierig, immerhin hat Ricarda Huch ein gutes Dutzend literarischer Strömungen durchlebt. Obwohl ich diesem Gedicht persönlich nicht so viel abgewinnen konnte, hat es mich dennoch ziemlich beeindruckt. Ich stand Liebeslyrik immer ziemlich kritisch gegenüber, aber wenn man sich erstmal damit befasst und auch mal auch etwas intensiver damit befasst, kann man doch einiges daraus gewinnen.

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