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Thor – Wolfgang Hohlbein

Cover von Juliet Naked

 


Einige Zeit lang hatte ich dieses Buch im Auge, ich kenne auch einige Leute, die das Buch gelesen haben und es mir empfohlen haben – mit knapp 900 Seiten ist das dennoch ein ziemlich langes Buch und ich war nicht restlos überzeugt, dass mir Hohlbein nicht nach 400 Seiten total auf die Nerven geht – was eben auch die eher mäßigen Amazon-Rezensionen suggerierten. Im Nachhinein hat sich dieser Eindruck bei mir nicht bestätigt – wenn man mit der richtigen Erwartungshaltung an das Buch herangeht.

Wir begegnen einem Mann, der seinen Namen nicht kennt und nichts über sich weiß. Man gibt ihm den Namen Thor, er lernt Urd und ihre Töchter kennen, sie treffen auf seltsame Krieger, die ihnen begegnen. In Midgard dürfen sie überwintern, aber das Misstrauen ist allgegenwärtig, insbesondere als die seltsamen Krieger wiederkommen, müssen sie fliehen, sie bahnen sich ihren Weg in die nächste Hafenstadt, wo sie unterkommen – aber auch hier macht sich Misstrauen breit, doch Urd kann im Untergrund agieren.

Midgards Krieger nehmen jedoch die Verfolgung auf und es kommt zur finalen Schlacht, die nicht sofort entschieden wird, sondern in der Thors Bruder Loki eine Rolle spielt und die Verstärkung von Asgards Kriegern für den Beginn von Ragnarök sorgt. Dass Thor tatsächlich jener Gott ist, als der er bezeichnet wird, hat er inzwischen begriffen.

Für über 900 Seiten ist das tatsächlich ziemlich wenig Handlung, denn viele Teile mit dem Buch beschäftigen sich tatsächlich mit der Selbstfindung Thors, der Entwicklung seiner Kräfte und seiner Beziehung zu Urd und den Kindern – unter anderem auch seinem Eigenen. Und das ist auch sicherlich einer der größten Stärken dieses Buches: Thor ist ein klasse Typ. Ein wirklich tiefer und sich toll entwickelnder Charakter, der seiner Vergangenheit mitunter näher kommt, als er eigentlich glaubt. Dazu Urd, die unberechenbare Frau an Thors Seite und viele Intrigen, Verfolgungen und die ständige Angst, die in Sicherheit zu sein, schaffen ein ziemlich cooles Setting mit klasse Charakteren, sodass die eigentliche Handlung etwas langsamerer voran geht, aber die Charakterentwicklung und ihre Beziehung zu einem so elementaren Teil der Geschichte werden, dass gar nicht viel passieren muss.

Geschrieben ist Thor – Hohlbein typisch – sehr spannend und so, dass der Leser jederzeit dabei bleiben möchte, denn scheinbar bricht immer irgendwo die Welt auseinander. Allerdings ist es hier – wie es bei Hohlbein gelegentlich passiert – nicht so, dass man des Kämpfens und des ewigen Schlachtens irgendwann müde wird, weil hier nie das Ziel des ganzen Rumkämpfens aus dem Auge verloren wird und es nicht einfach nur der Schlacht wegen so weiter geht. Einige Stellen lang wird auch nicht geschlachtet, sondern andere Widrigkeiten und Thors Fähigkeiten oder Konflikte (mit seinem Sohn…) stehen im Mittelpunkt. Das gefällt mir gut und trägt dazu bei, dass die 900 Seiten nicht langweilig wirken. Überlange Reiseberichte kann ich so nicht bestätigen – es liegt in der Natur eines Selbstfindungsromans, dass viel gereist wird, aber dass die Reisebeschreibungen endlos und langweilig sein, kann ich absolut nicht nachvollziehen.

Um das Buch genießen zu können, sollte man aber alles, was man über die germanische Mythologie weiß, erstmal vergessen. Denn wer in der Asgard-Saga eine auch nur halbwegs quellentreue Wiedergabe der Legenden erwartet, wird mit Thor keine Freude haben – das Buch ist komplett fiktional und bedient sich nur teilweise und selektiv aus dem großen Pool der Mythen und kreiert ein etwas nordisch anmutendes Setting – was durchaus gelungen ist und auch viel Spaß macht, man allerdings vorher wissen sollte, um Enttäuschungen zu vermeiden.

Ansonsten muss man natürlich das beachten, was man bei Hohlbein immer beachten muss. Das Worldbuilding ist alles andere als komplex und nur ein Mittel zum Zweck, es ist nicht jeder Nebencharakter bis ins kleinste Detail ausgearbeitet und das Buch konzentriert sich auf die Haupthandlung und die Hauptcharaktere und führt keine zahlreichen verschiedenen Ansichten (sog. POVs) ein, sondern bleibt von der Erzählstruktur her ziemlich einfach gestrickt bei einem normalen Personellen Erzähler, der auch bei einer Erzählperspektive bleibt – insgesamt also ein verhältnismäßig einfach gestrickter Fantasyroman.

Wenn man diese beiden Aspekte im Hinterkopf hat und sich nicht davor scheut, mal etwas längere Bücher zu lesen – auf die Gefahr hin, dass die Handlung eben nicht nach 300 Seiten erzählt ist – dem sei Thor durchaus ans Herzen gelegt. Es ist ein wirklich guter Hohlbein, den ich bedenkenlos weiterempfehlen würde. Es ist genau Hohlbeins Stil, und die ganz typischen Schwächen Hohlbeins (schwaches Ende und mitunter wenig zielführende Kampfszenen) sind auch nur in abgeschwächter Form zu finden. Das ist auch der Grund, warum ich Thor also bedenkenlos 4/5 Sternen geben kann.

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