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Serapionsbrüder #16: Das fremde Kind

k-WP_20151112_003Zum zweiten Male, nach dem Nussknacker, gibt es ein Kunstmärchen zu lesen. Wieder erzählt von Lothar, der einräumt, er habe mit dem Märchen versucht, etwas zu schaffen, was nicht so untauglich wie der Nussknacker für Kinder ist – die Rezeption als Märchen für Erwachsene sagt ihm, es sei wohl nicht so wahnsinnig gelungen. Doch schauen wir uns das Märchen erstmal an:

Ein Edelmann hat ein kleines Haus auf dem Land geerbt und lebt dort mit seinen Kindern, denen er freie Bahn bei ihrer Entwicklung lässt. Als sein Vetter, ein wohlhabender Graf, vorbeikommt und sieht, wie die Kinder hier aufwachsen, ist er entsetzt, es kommt zu einem Kulturschock zwischen Landbürgerlichem Idyll und artigem Betragen bei Hofe. Er will einen Lehrer schicken, der die Kinder erziehen soll – und lässt ihnen anständige Spielzeuge da.

Diese begegnen unterdies im Wald einem fremden Kind, das sich als Tochter einer Fee vorstellt und mit den Kindern zusammen in der Natur spielt und ihnen das Wunder der Natur noch näherbringt – die Spielzeuge des Edelmanns sind längst vergessen. Es erzählt auch von einem Bösewicht, der in Gestalt einer Fliege ins Paradies eindrang und jetzt das fremde Kind immer verfolgt. Und wen wundert es da noch, dass der sehr seltsame Lehrer, der von allen sehr kritisch beäugt wird, sich schließlich als diese Fliege entpuppt – und als die ganze Familie sich ihm stellen und ihn vernichten will, fällt der Vater ihm zum Opfer. Die Mutter kann mit den Kindern zu Bekannten fliehen und als sich dann noch das Geheimnis um das fremde Kind lüftet, können sie immerhin bei den Bekannten guten Unterschlupf finden und glücklich werden.

Habe ich noch in der vergangenen Geschichte das Phantastische gesucht, so wird es hier quasi auf dem Silbertablett serviert. Das Böse, teufelsartige manifestiert sich in Form eines Lehrers, die Wahl der Fliegengestalt ist bestimmt auch nicht zufällig und ganz klischeehaft wohnt die Fee auch noch in den Wolken beim Regenbogen. Aber irgendwo muss das Klischee ja herkommen – und phantastisch im Sinne der Kinder- und Hausmärchen ist das allemal.

Den Wahnsinn des verrückten Hauslehrers könnte man sich auch anschauen, viel spannender finde ich allerdings hier das romantisierte Landleben, das völlig sorgenfrei und unbeschwert ist – ich sprach letzte Woche bereits in einem Halbsatz davon, dass die Sorgen und Nöte der Landbevölkerung überhaupt nicht thematisiert werden und nur von dem Idyll des Waldes und der Natur ausgegangen wird, für die Familie herrscht kein Mangel, ihre Verhältnisse scheinen einfach und geradezu natürlich und schön gegen den versteiften Grafen und seine Kinder. Das zeigt sich gerade in einer Szene, in der der Junge des Grafen trotz seines eindrucksvollen Säbels, den er trägt und trotz der Geschichten von Löwen und anderen gefährlichen Tieren, die er erzählt, eine riesige Angst vor dem Hofhund bekommt und weinend zu seinen Eltern läuft.

Die Serapionsbrüder meinen, dass der Text durchaus einige Schwächen habe, die Schnörkel hätte sich Lothar noch immer nicht verkneifen können – ich hingegen würde sagen, das fremde Kind ist ein wundervolles Märchen, vielleicht nicht unbedingt für kleine Kinder geeignet – aber ich finde, es trifft den Ton der Kinder- und Hausmärchen ganz gut und trägt dieses Gefühl in einen neuen, romantischen Text, der absolut lesenswert ist – trotz seiner Schwarz-Weiß-Malerei.

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