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Nova Atlantis – Francis Bacon

Das heutige Buch ist eines der ältesten, die wir jemals auf diesem Blog hatten. Erschienen 1627 und geschrieben um 1614 herum hat das Buch inzwischen fast 400 Jahre hinter sich – und es ist neben Thomas Morus Utopia eines der ersten utopischen Werke. Stets als Fragment geblieben wurde es im Jahr nach seinem Tod veröffentlicht.

Bensalem ist eine fiktive Insel in der Südsee, auf der ein Schiff strandet. Zunächst dürfen die Matrosen nicht an Land kommen, schließlich werden sie von den Inselbewohnern, die ihre Sprache sprechen, aber freundlich empfangen, sind aber zunächst in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. In Gesprächen mit den Bewohnern der Insel finden sie einiges über die Gesellschaftsstruktur heraus. Die Menschen leben dort unter einem König mit starkem Parlament, der jedoch nur formale Macht hat. Die eigentliche Steuerung passiert jedoch durch ein Gremium, ein Haus Salomon. Diese Vertreter werden fast schon kultisch verehrt, die Organisation selbst ist jedoch streng arbeitsteilend aufgebaut und betätigt sich in allen Wissenschaften. Sie bereist die ganze Welt und nehmen die Technologien und kulturellen Errungenschaften mit auf die Insel, geben aber nur ausgewählte Informationen der Öffentlichkeit und sogar dem König preis, sie lenken also den Fortschritt dieser Insel, was dazu führt, dass auf der Insel alle Menschen in Frieden und im Überfluss leben können. Und so bietet man den Gestrandeten schließlich an, sich dauerhaft auf der Insel niederzulassen, damit sie das Geheimnis nicht weitererzählen.

An dieser Stelle endet das Fragment, es gibt Vermutungen, dass es intendiert war, weitere Teile beispielsweise über das politische System oder über Details des gesellschaftlichen Alltagslebens zu schreiben und schließlich eine Entscheidung der Gestrandeten herbeizuführen, davon ist aber nichts überliefert – wohl auch, weil Bacon sich dann seinem Hauptwerk zuwendete. Doch auch schon in dieser fragmentarischen Form ist die Nova Atlantis bereits sehr interessant, bedarf aber einer Interpretation. Der Titel und auch der Text nehmen – wenn auch nicht so in der Tiefe – Bezug auf Platons Atlantis-Mythos, die grundlegende Gesellschaftsstruktur ist mit der englischen Monarchie zu dieser Zeit vergleichbar – natürlich ohne das Haus Salomon. Diese parallel existierende Struktur ist an die Stelle einer Kirche getreten und arbeitet aber völlig anders als diese – mal von dem unterdrückten Wissen abgesehen.

Interessant ist auch der Wissenschaftsbegriff. Ich bin ja ein großer Freund von Grundlagenforschung – was hier allerdings passiert gleicht mehr einer Wissenschaftsmanufaktur in der strengen Aufteilung, dem Monopol auf internationale Beziehungen, das das Haus hat und der strengen Praxisorientierung. Wichtig ist nur, was praktischen Interessen gehorcht. Ich habe eine Ausgabe der Nova Atlantis vom Verlag der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Das war eine der wichtigsten Forschungseinrichtungen der DDR und somit ist auch das umfangreiche Vorwort sehr marxistisch geprägt – tatsächlich ist aber die marxistische Denkweise in dieser Utopie gar nicht so fehl am Platz, denn tatsächlich besitzt das Haus Salomon alle Produktionsmittel und gibt nur die Endprodukte weiter an die gewöhnlichen Einwohner – auch wenn ich glaube, dass dieser marxistsche Ansatz zu kurz greift, um die Nova Atlantis zu verstehen.

Insgesamt ist die Nova Atlantis eben nicht mehr als ein Fragment, an dem man einige interessante Sachen herausarbeiten kann – auch der Wissenschaftsbegriff damals war ein zeitgenössischer. Für mich bietet sich am ehesten noch die Kritik an einer Gesellschaft des rückständigen Glaubens und ein Propagieren einer ‚Revolution des Wissens‘ als Essenz des Werkes an – der Glaube, dass die Wissenschaft für Frieden und Wohlstand sorgen kann, ist einer, der im 17. Jahrhundert, in dem gerade die ersten Schritte auf dem Weg zu einer Technikgesellschaft gelegt wurden, sehr stark war.

Ich fand die Nova Atlantis durchaus bereichernd. Ich mag ja Dystopien – gleich auch wie Utopien – ziemlich gerne – wenn mich auch dieses Bändchen etwas ratlos zurückgelassen hat. Ich würde euch allerdings eine Ausgabe ohne marxistisches Vorwort empfehlen, aber es hilft, sich mal zu den kaum 50 Seiten Text irgendeine Art einführenden Kommentar zu lesen. Es ist zwar alles gut verständlich ge- und beschrieben, aber gerade ohne den zeitlichen Kontext dazu, wirkt das Werk doch ziemlich befremdlich. Es ist auch kein absolutes Must-Read, die oben angesprochene Utopia ist vielleicht noch etwas bedeutsamer, aber es schadet nicht, sich mit dieser doch etwas unterbewerteten Epoche der Geschichte etwas zu beschäftigen – daher bekommt die Nova-Atlantis von mir auch 4/5 Sternen.

 

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