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Menschliches Elende – Andreas Gryphius

Gryphius hatten wir erst vor kurzer Zeit im Blog, damals mit einer Komödie. Desto passender ist es nun, wenn wir uns mal eine ganz andere Seite von Gryphius anschauen. Denn mit einer komischen Geschichte hat dieses Gedicht gar nichts zu tun – Menschliches Elende ist nämlich der Titel und der spricht – gerade bei Gedichten – Bände.

Das Gedicht könnt ihr hier lesen: https://de.wikisource.org/wiki/Menschliches_Elende

Es geht, wie schon der Titel erwarten lässt um Vergänglichkeit, Bedeutungslosigkeit. Wir Menschen sind allesamt nur vergänglich, nicht einmal unsere Nachfahren werden sich an uns erinnern, generell: Unser Name, unser Ruhm ist doch nur Schall und Rauch – vergänglich. Und wenn ich so oft in diesem Kapitel vergänglich schreibe, dann sind wir auch schon mitten in der Einordnung des Gedichts in das Barocke. Aber schauen wir uns die Form an.

Es handelt sich hierbei um ein klassisches Sonett, man erkennt das gut an den 2×4 Versen, auf die 2×3 Verse folgen, meistens mit einer Art inhaltlichem Bruch zwischen den Quartetten und Terzetten. Die Verse sind enorm regelmäßig, sie bilden einen Alexandriner, ein ganz typischer Vers für deutsche Dichtung – gerade im Barock, aber auch noch bei Goethe findet er sich. Er besteht aus sechs Hebungen, beginnt mit einer unbetonten Silbe, es sind also sechs Jamben; (für den ersten Vers sind die Hebungen exemplarisch: sind, Men-, doch, Wohn-, grim-, Schmer-), nach dem dritten Versfuß gibt es einen kleinen Einschnitt, eine Zäsur (im ersten Vers ganz deutlich durch das Ausrufezeichen makiert). Die Reime sind sogenannte Schweifreime in Form abba, cddc, eef, ggf und alle Reime sind perfekt. Es ist schon bemerkenswert, wie streng und regelmäßig dieses Gedicht ist – solche Verskunst finde ich immer total bewundernswert.

Ich hatte es eben schon angedeutet, wir sind im Zeitalter des Barock, welches wesentlich durch den dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 geprägt ist. Elend, Tod und Sterben bestimmten damals den Alltag vieler Menschen, sie sehen schon in jungen Jahren viel Leid und über allem steht das christliche Dogma von der Endlichkeit des irdischen Seins. So verwundert es dann auch wenig, dass in dieser Epoche besonders häufig Motive von Vergänglichkeit (auch in christlich-jüdischer Tradition als Vanitas bezeichnet), dem Nutzen des Tages, denn morgen schon könnte man tot sein (Carpe Diem!) und des Gedenkens an die Toten (Memento Mori) auftauchen.

Gryphius selbst ist 1616 geboren, das Gedicht wurde 1637 veröffentlicht – das ist nicht nur über 20 Jahre vor der Komödie, die wir hier zuletzt gelesen hatten, sondern vor allem auch mitten in dieser Phase des dreißigjährigen Krieges und es ist vor allem das Vanitas-Motiv, das hier auftaucht. Der Mensch ist nur ein ‚bald verschmeltzer Schnee‘, das ‚Leben fleucht darvon‘ – es ist schon etwas deprimierend, das Gedicht zu lesen. In sehr vielen Vergleichen und Bildern wird dargestellt, was letzten Endes jeden von uns befällt: Der Tod – und den Übergang in das Leben nach dem Tod. Die einzige Hoffnung, die Gryphius und Zeitgenossen umgetrieben hat.

Spannend wäre es auch, das ganze mal psychoanalytisch aufzurollen. Was muss in einem 21-jährigen vorgehen, der solche Gedichte schreibt? Ist das der Weltschmerz, sind das die Kriegstraumata, die zur Resignation führen? Oder will Gryphius nur zeigen, wie gut er Verse setzen kann und bedient sich der zeitgenössischen Motive? In jedem Falle ein sehr formvollendetes Gedicht, das überdies sehr bedrückend ist. Wer tiefer einsteigen möchte, kann sich mal mit der Funktion des ‚Ichs‘ in diesem Gedicht und im Barock beschäftigen oder sich intensiver mit den letzten beiden Strophen auseinandersetzen, die noch einiges an Interpretationspotenzial bergen, welches aber unseren Rahmen hier sprengen würde.

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