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Lebens-Ansichten des Katers Murr – E.T.A Hoffmann

k-WP_20151005_001Ich belege im kommenden Semester ein Seminar zu Hoffmanns Serapionsbrüdern – und da fiel mir auf, dass auf meinem SuB ja schon seit einiger Zeit (lies: seit zweieinhalb Jahren) noch ein Buch von Hoffmann liegt, die Lebens-Ansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern. Und ja, genau so heißt das Buch mit vollständigem Titel. Das Konzept dieser Satire ist folgendes: Der fiktive Herausgeber findet die Autobiographie des Katers Murr und möchte diese drucken. Leider hat Murr die Blätter einer Biographie des Komponisten Johannes Kreisler als Löschpapier und Schreibunterlage verwendet und hat diese unachtsam im Manuskript gelassen – was der fiktive Herausgeber nicht bemerkte. So wird die Geschichte von Murr immer wieder von Kreislers episodenhaften und nie fertiggeschriebenen Anekdoten unterbrochen.

Der Kater Murr verhält sich ziemlich menschlich und erzählt in seiner Autobiographie von seinem Bildungsweg bei seinem Meister Abraham, der ihm den Zugang zu Büchern gewährt und erzählt von lehrreichen Jugendfreundschaften, einer fatalen Liebesgeschichte, einer Burschenschaftszeit samt Duell auf Biss, mit höherer Kultur (der Hunde!) und letzten Endes zum Literaten durch autodidaktische Studien. In wundervoll gesetzter Prosa erfahren wir alles über dieses selbstbezeichnete Genie eines Katers, eines Musterbeispiels seiner Art, das einen langen und erfolgreichen Bildungsweg durchläuft.

Ganz im Gegensatz zu Johannes Kreisler, der als Kapellmeister durch die Lande zog, bei Hofe war, in ein Kloster geht und der in einem sehr weltlich aussehenden Kloster durch seine Kompositionen einen unvergleichlichen Ruf genießt. Aber auch bei Hofe wird er vermisst, nebenher ist er ein guter Bekannter des Meisters Abraham, scheint auch Murr zu kennen und mit Abraham zusammen scheint am Ende noch eine Intrige bei Hofe durch seine Hilfe aufgedeckt.

Einen dritten Band dieser Geschichte kündigt der Herausgeber an, dieser ist jedoch nie erschienen.

Ich muss sagen, ich fand die Geschichte um den gebildeten Kater ziemlich genial. Ich liebe ja Katzen im Allgemeinen und das war der Grund, warum ich diese Geschichte unbedingt lesen wollte. Erst nach dem Kauf entdeckte ich, dass es sich hier um eine Satire auf den Bildungsroman handelt, in dem die Motive des klassischen Bildungsroman verwendet werden, ins Gegenteil verkehrt werden und gleichzeitig die Ideale der Bildung angegriffen werden. Das machte es für mich ziemlich spannend, weil ich keine Ahnung hatte, wie eigentlich ein Bildungsroman aussieht – dennoch habe ich nach dieser Satire das Gefühl, mehr über Bildungsromane gelernt zu haben, als ich an jedem echten Bildungsroman hätte herausarbeiten können.

Natürlich ist das Buch nicht so ganz einfach zu lesen, immerhin ist es knapp 200 Jahre alt, natürlich habe ich ein wenig dafür gebraucht und konnte es nicht einfach herunterlesen, aber dennoch ist Hoffmanns Satire auch für jeden anspruchsvollen Leser einen zweiten Blick wert. Das fragmentarische Erzählen der Lebensgeschichte Johannes Kreislers – von dem ich noch immer nicht wirklich eine Übersicht über sein Leben habe, der mir aber wie ein wirklich Gebildeter wirkt – der dem selbsternannten Genius, der nie echte Bildung erfuhr, gegenübergestellt wird, ist grandios umgesetzt, in so vielen Details findet man diesen Gegensatz, beispielweise ist Murr sein eigener Autobiograph, Kreisler wird biographiert, abgeschlossene Geschichte versus abgebrochene Episoden, Chronologie versus Unordnung, Läuterungsgeschichte versus weltliches Klostererleben – in scheinbar jedem Aspekt scheint Kreisler das Gegenteil von Murr zu sein.

Und dennoch schließt man den guten Kater in sein Herz. Auch wenn er eigentlich nichts mit echter Bildung zu tun hat, nimmt man dem Kater seinen Läuterungsprozess ab, es wirkt absolut glaubhaft, wenn er von der Jugendfreundschaft zum Pudel erzählt, man die Liebesgeschichte und die Burschenschaftszeit miterlebt – und natürlich auch total süß, wenn man die Reaktionen der Menschen auf das Verhalten der Tiere mitbekommt. Einige scheinen zu wissen, dass Murr schreiben kann, aber sein Vater Abraham hütet das Geheimnis gut – will ihn aber auch zeitweise davon abbringen und ihn auf seinem Lebensweg – mit mäßigem Erfolg – beeinflussen und spricht viel mit ihm.

Man erfährt einiges über Hunde- und Katzenethik, man hat das Gefühl, authentischen Vierbeinern gegenüberzustehen. Allein dafür, dass Hoffmann es schafft, hohe Literatur, Satire und eine Katzengeschichte in einen Band zu packen, gehört mit fünf Sternen honoriert – und ich finde die Umsetzung auch uneingeschränkt empfehlenswert. Die Lebens-Ansichten des Katers Murr und die Geschichte von Johannes Kreisler sind wundervolle ironisch-satirische Erzählung(-en) von ungleichen Charakteren und tollen Katzen, die in jedes Bücherregal gehören. Das würde Murr bestimmt auch so sehen.

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