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Die Taube – Patrick Süskind

k-2016-06-16 22.47.36Patrick Süskind ist ein Phänomen. Sein größter Erfolg, Das Parfum, ist auch sein einziger; er wird in Schulen gelesen, enorm erfolgreich verfilmt und allein der Verkauf der Filmrechte hat wohl dafür gesorgt, dass sich Süskind ein ruhiges Leben machen kann – Das Parfum ist bis heute sein einziger Roman und das letzte Mal, dass er sich meldete, war mit einem Essay 2006. Die Taube ist eine Novelle, die zwei Jahre nach dem Parfum veröffentlicht wurde. Das kaum 100 Seiten schmale und überdies noch in großer Schrift gedruckte Bändchen thematisiert einen außergewöhnlichen Tag im Leben eines gewöhnlichen Mannes.

Jonathan Noel hat in seinem frühen Leben einige drastische Sachen erlebt und zieht sich seit über 30 Jahren aus der Gesellschaft zurück. Er ist Wachmann vor einer Bank und sich der Sinnlosigkeit seines Tuns bewusst, er bewohnt ein kleines Zimmer mit Toilette auf dem Gang und hat dies auch schon fast abgezahlt, sodass er es bald sein Eigentum nennen kann. Doch eines Morgens, als er sich gerade auf dem Weg zum Bad macht, sieht er eine Taube – eine Taube, die dort sitzt, ihn stumm anschaut und schließlich den ganzen Flur mit hässlichen Flecken versieht. Das bringt ihn völlig aus dem Konzept, er hetzt mit gepacktem Koffer zur Arbeit, ist aber den ganzen Tag unkonzentriert, traut sich in der Mittagspause nicht nach Hause, zerreißt sich seine Hose und verbringt die Nacht aus Angst vor der Taube, der Unregelmäßigkeit in einem billigen Hostel, er plant, sich umzubringen. Doch im Gewitter der Nacht kommt seine Orientierung wieder zurück, er geht nach Hause – Die Taube ist verschwunden.

Was mir zuerst an der Novelle auffiel, ist, dass sie innerhalb von 24 Stunden spielt und hinsichtlich ihrer Ortswahl sehr begrenzt ist. Eine Handlung ohne Nebenstränge, die wenigen Schauplätze sind alle in derselben Stadt verteilt, alle an einem Ort – das erinnert an die Aristotelischen Drameneinheiten. So klassisch das wirkt, habe ich enorme Schwierigkeiten, die Geschichte einzuordnen – und das liegt nicht nur daran, dass ich momentan nicht besonders fit in Novellentheorie bin, sondern auch, weil die Geschichte so absurd und gleichzeitig faszinierend ist. Letzten Endes passiert nicht viel. Ein soziophober Mensch ist von einer Taube so verunsichert, dass er an seine Grenzen kommt. Und trotzdem ist die Geschichte unglaublich faszinierend geschrieben, dieser direkte Schreibstil erzeugt einfach einen Drive, sodass man förmlich in die Geschichte hineingerissen ist und geneigt ist, sie einfach am Stück zu lesen.

Irgendwie kam mir beim Lesen so das Gefühl, dass Süskind den Charakter von Jonathan Noel ein bisschen autobiographisch gestaltet hat. Süskind selbst tritt kaum in die Öffentlichkeit, es gibt quasi keine Fotos und Interviews mit ihm, man wird das Gefühl nicht los, dass er selbst sich vielleicht nach der Regelmäßigkeit eines Jonathan Noel sehnt – oder er kann sich zumindest gut in ihn hineinzuversetzen. Ich jedenfalls konnte mich sehr schnell dort hineinversetzen – auch wenn Noels Job für mich die persönliche Hölle wäre, ist so eine gewisse Regelmäßigkeit im Leben sicherlich nicht falsch. Wirklich gestoßen habe ich mich daran, dass die Novelle teilweise ziemlich vulgär war und das irgendwie für mich aus dem Text herausgestoßen ist – ich weiß gar nicht, wieso mir das so aufstieß, aber irgendwie brachte mich das ein- oder zweimal aus dem Takt.

Insgesamt fand ich die Novelle unglaublich faszinierend. Ich finde es ja immer ganz schön, von bekannten Autoren auch mal ein- oder zwei unbekannte Werke zu lesen, um ein besseres Gefühl für die Autoren zu bekommen. Insofern war dieses Buch, das ich in einem öffentlichen Bücherschrank fand, ein echter Glücksfund, den ich gerne gelesen habe. An das Parfum kommt die Geschichte bei weitem nicht heran, aber dennoch ist sie absolut lesenswert und ich gebe gerne 4/5 Sterne dafür. Wenn ihr mal darüber stolpert, nehmt sie zur Hand – es lohnt sich.

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