Permalink

3

The little Book – Selden Edwards

Cover von The little book

 


Es ist eines der Bücher, die man eigentlich nicht findet. Als ich unseren englischen Bestand durchgesehen habe, stieß ich mit der Nase auf dieses Buch und fing an, ein bisschen zu recherchieren.  2008 erscheinen ist es der Debütroman von Selden Edwards, der über 30 Jahre an diesem Werk gearbeitet hat. Es gibt keine deutsche Übersetzung des Buches, obgleich das Buch ein New York Times Bestseller war und auch generell positiv aufgenommen wurde. Irgendwie hat mich das – und die gleich folgende Inhaltsangabe – neugierig gemacht, sodass ich mir das Buch auslieh und las.

Wheeler Burden ist ein Rockidol aus den 80ern, der aus einer reichen Familie stammt und es selber zu einiger Berühmtheit geschafft hat – zuerst durch sein Baseballspiel, später durch seine Musik. Er taucht auf einmal in Wien im Jahre 1897 auf und begegnet nicht nur Siegmund Freud, Mark Twain und Gustav Mahler, sondern auch vielen Mitgliedern seiner Familie, darunter seinem Vater, der ebenfalls in der Zeit zurückgereist ist. Und das, was dann in dieser falschen Zeit passiert, verstößt nicht nur gegen den alten Grundsatz, in der Vergangenheit nichts einfach so zu verdrehen, sondern ist auch noch eine spannende Geschichte über eine Familienchronik, eine Einführung in das historische Wien als Weltmittelpunkt und gleichzeitig irgendwie unglaublich tiefgründig. Involviert ist auch noch ein Lehrer-Urgestein, das Wheeler so viel über diese Zeit beigebracht hat und ein Kreis junger Studenten in Wien, die vom beginnenden Antisemitismus auseinandergerissen werden.

Dieses Buch ist ziemlich gut. Ich kann nicht nachvollziehen, warum das Buch bei uns recht unbeliebt ist, aber wie sollte man auch auf die Idee kommen, es zu lesen? Es ist eines der Bücher, die sich nicht nur mehrmals im Kreis drehen, sondern bei denen die Handlung mit jeder Seite komplexer wird. Dabei driftet das Buch aber nicht auf irgendwelche hohen Ebenen ab, sondern bleibt gut verständlich. Es ist wunderschön erzählt, die Charaktere lassen viel Raum für zahlreiche Konflikte und die Begegnung mit den historischen Persönlichkeiten könnte authentischer kaum sein. Das Besondere an diesem Buch ist sicher die vielschichtige Thematisierung einer Zeitreise. Außerhalb des Science-Fiction Genres spielen Zeitreisen kaum eine Rolle, in diesem Buch aber ist die Zeitreise der Aufhänger für alles, was passiert ist. Das Buch beschäftigt sich in epischer Breite mit dem Thema “Was passiert, wenn ich jetzt in der Vergangenheit etwas verändere?” und legt dabei viel Wert darauf,  die Schicksalshaftigkeit aller Gegebenheiten auszuführen. Nichts passiert hier zufällig, aber jeder glaubt, dass er selbst entweder zu viel oder zu wenig auslöst und am Ende ist völlig unklar, was ohne die Zeitreise passiert wäre – und auch, ob es ohne die Zeitreise die Zeitreise überhaupt hätte geben können.

Ihr seht schon, das Ganze ist ein riesiger Teufelskreis und ihr könnt das nur dann halbwegs verstehen, wenn ihr es selbst gelesen habt. Ich möchte in dieser Rezension noch kurz auf ein paar weitere Punkte eingehen:

Hitler taucht in dem Buch auf. Als siebenjähriger Junge. Die wohl schwierigste aller Hitlerdarstellungen hat Selden Edwards wunderbar geschickt gelöst, indem er ihn einfach gar nicht großartig beschrieben hat. Viel mehr liegt der Fokus auf der Gefahr des beginnenden Antisemitismus, den keiner wahrhaben will und auf der Rolle seines Vaters bei der Befreiung durch die Alliierten, die ja in der Vergangenheit noch gar nicht stattgefunden hat.

Das Buch glänzt durch Metafiktionalität. Wir haben es mit einer Erzählung einer außenstehenden dritten Person zu tun, die aus einem von Wheeler geführten Tagebuch erzählt, das er – ab einem gewissen Zeitpunkt – jedoch direkt für Siegmund Freud geschrieben hat. Gleichwohl taucht auch noch ein von Wheeler verfasstes Buch, das die Notizen seines Lehrers thematisiert auf und ein weiteres Buch, das später von einem in der Vergangenheit auftauchenden Charakter verfasst sein worden wird, spielt eine wichtige Rolle. Wheeler liefert in der Vergangenheit Texte aus der Zukunft, die er in der Zukunft jedoch schon kennt. Das Thema des Schreibens wird so zu einem weiteren Leitmotiv und macht das Bestimmen einer echten Wahrheit nicht unbedingt einfacher, vor allem weil der Erzähler – und damit auch seine Verlässlichkeit – unbekannt bleibt.

Die Germanismen sind unglaublich niedlich. So wird aus dem Kaffee “mit Schlag” ein “mitt Schlagg” und viele andere Wörter tauchen einfach wird eingemischt auf, sodass man als deutscher Muttersprachler viel Spaß damit hat.

Nachdem ich jetzt einige Zeit erzählt habe, bleibt mir nur übrig, eine Empfehlung auszusprechen. Eine klare Empfehlung für jeden, der sich mit dem Konzept eines postmodernen Romans anfreunden kann – aber keine Angst, ganz so komplex ist es gar nicht – und wer sich auf philosophischer Ebene für Zeitreisen interessiert und auch noch bereit ist, sich auf eine ganz eigene Welt im alten Wien einzulassen. Für meinen Teil vergebe ich 5/5 Sternen und lasse euch mal den Link zum Buch da, das ihr für läppische 6,10€ erwerben könnt.

3 Kommentare

  1. Pingback: Statistik für Februar | Romanfresser.de

  2. Pingback: Let’s Read it in English – 2014 | Romanfresser.de

  3. Pingback: Montagsfrage vom 16.05.2016 | Romanfresser.de

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.