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Romanfresser im Theater: HAIR

Ich gebe zu, sonderlich besinnlich ist das jetzt nicht, aber ich möchte im Rahmen dieses Adventskalenders auf keinen Fall jenes Stück auslassen, das ich in der vergangenen Spielzeit ganze fünf Mal gesehen habe. Es geht um das Musical HAIR, das nicht nur erfolgreich verfilmt worden ist, sondern auch eines der meistgespielten Musicals ist – und das aus gutem Grund.

Ich denke, die Handlung ist soweit relativ bekannt. Alles dreht sich um den Tribe und das Schicksal von Claude, der hin- und hergerissen ist zwischen seiner Pflicht, dem Land im Vietnamkrieg zu dienen und dem Tribe mit seinen pazifistischen Idealen. Schließlich entscheidet er sich für sein Land und kehrt aus dem Krieg nicht mehr zurück, während sein Tribe auf ihn wartet. Zwischendrin gibt es alles, was das Hippiedasein zu bieten hat. Sex, Drogen, Krisen und Razzien. Und natürlich gibt es auch dramatische Liebesgeschichten, Neid, Eifersucht, nicht erfüllte Liebe und allerlei mystische und esoterische Riten und Sitten. Ich möchte gar nicht daran denken, welche Besucher mir Google jetzt wieder vorbeischickt.

HAIR hat am Staatstheater in Darmstadt sehr viel Spaß gemacht. Das Theater suchte sich für das Stück ein junges, buntes Ensemble und kombinierte die zahlreichen technischen Spielereien des Theaters in eine aufwendige und vielfältige Inszenierung. Seien es Flammenwerfer im Vietnamkrieg, Kräne und Seilwinden für die Mondszene, oder ein teilbares Haus, das nicht nur als Bühnenbild dient, sondern auch aufgeteilt werden kann und dann zur Spielfläche oder zur drehbaren Kulisse wird.

Was ich noch erwähnen möchte, ist die Auslosung. Während der Einlassphase wurden in einer Lostrommel Daten gezogen und verkündet und die Besucher mit dem gezogenen Geburtsdatum durften sich dann auf der Bühne ‚registrieren’ lassen – in Anspielung auf die Lotterien zum Armeeeinzug in Amerika zur damaligen Zeit. Mit einem echten Klassiker, nämlich ‚Sylvan’ der niederländischen Band Focus wird dann das Stück eröffnet und die Bühne ist frei für das Ensemble, das nicht nur mit außergewöhnlicher Spielfreude aufwerten kann, sondern auch gesanglich in jeder Hinsicht eine saubere Leistung auf die Bühne bringt.

In Wetzlar durfte ich an einer Amateurproduktion des Stücks mitwirken und war daher mehr als nur gespannt darauf, wie Darmstadt als Profiensemble das Stück inszeniert und welche gravierenden Unterschiede es gibt. Angenehmerweise ist das bei Musicals immer relativ klar eingegrenzt, so ist es in Verträgen fixiert, dass die Inszenierung eines Musicals zumeist ‚werktreu’ zu erfolgen hat. So war auch Darmstadt keine Ausnahme. Die Inszenierung trifft den Geist des Stücks und den Geist der Zeit perfekt und ich fühlte mich sehr wohl im Theater, man wurde einfach von diesem Lebensgefühl, das das Stück transportiert, angesteckt. Ich sage immer, HAIR hat keine Handlung, sondern ein Gefühl. Und das muss getroffen werden – und das wurde es auch. Ich sprach von ausufernder Bühnentechnik, die aber nie Selbstzweck wird, sondern immer der Inszenierung dient.

Fast vergessen hätte ich das Orchester. Beziehungsweise die Band. Eine Reihe Musiker (die auch noch fahrbar ist. Sehr praktisch!) sitzt hinten auf der Bühne in gelben Anzügen und gibt alles. Druckvoll, präzise und auf den Punkt gespielt. Zwischen ruhigen Balladen und den richtig dreckigen Rocknummern und sogar den alten Klassiker ‚See you later Aligator’, der zu Beginn des zweiten Aktes als ‚old fashioned melody’ gespielt wird.

Apropos Englisch: Sehr angenehm ist, dass in Darmstadt die Songs auf Englisch gelassen wurden. Man möchte sich nicht ausdenken, wie furchtbar deutsche Übersetzungen von HAIR klingen (Wer würde schon in ein Stück namens ‚Haare’ gehen, dessen bekannteste Zeile ‚Steht der Mond im siebten Haus, vereint sich Jupiter mit Mars’ lautet?) und ist deshalb umso dankbarer, dass die Songs auf Englisch verblieben sind und dafür übertitelt wurden. Die Übertitel sind da mitunter schon grausam genug – was dem Haus allerdings nicht anzulasten ist. Die (wenigen) Dialoge im Stück sind dann allerdings übersetzt und mich persönlich stört dieser Code Switch auch überhaupt nicht, auch wenn es schon seine eigene Komik hat, wenn dann auf eine deutsche Frage mit einem englischen Lied geantwortet wird. Aber ich denke, das ist die bestmögliche Lösung, die man gehen kann.

Summa summarum war HAIR in Darmstadt ein tolles Erlebnis für die ganze Familie (nun… sagen wir: Für die zumindest im Teenageralter befindliche Familie?) und ich habe mich wirklich gefreut, als Student das Stück aus verschiedenen Perspektiven sehen zu dürfen, ohne einen dreistelligen Betrag für die fünf Besuche auf den Tisch legen zu müssen. An dieser Stelle ein Appell an alle Mit-Studenten unter meinen Lesern: Solche Theaterkooperationen gibt es in immer mehr Städten. Nutzt das Angebot. Die Darsteller freuen sich über ein volleres Haus und ihr verbringt einen spannenden Abend. Win-Win Situation.

In der nächsten Woche wird es dann mal über ein Stück gehen, das weder im großen noch im kleinen Haus gastierte, sondern im Keller, in der kleine Studiobühne gespielt wurde. Welches Stück das ist und was das für die Inszenierung bedeutet – dazu nächsten Advent mehr.

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