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Professor Unrat – Heinrich Mann

k-WP_20150911_001Kennt ihr Marc-Uwe Klings ‚Falsch zugeordnete Zitate‘? Hier würde sich eines anbieten: „Heinrich mir graut’s vor dir“ – Thomas Mann.

Unser heutiges Buch stammt mal wieder aus dem unendlichen Fundus der Kanonliteratur. Professor Unrat ist eine Erzählung aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts – kurz vor dem ersten Weltkrieg – und man sagt dieser Erzählung nach, sie würde die gesellschaftliche Lage vor dem Krieg treffend einfangen. Aber dazu später mehr.

Raat ist Lehrer am örtlichen Gymnasium und wie man das im beginnenden 20. Jahrhunderts macht, diszipliniert er seine Schüler mit Zucht und Ordnung – er wirkt sehr verbissen und seine einzige Lebensfreunde scheint es zu sein, die Schüler, denen er nicht nur Aufsätze zu unmöglichen Themen abverlangt, zu erwischen, wie sie ihn mit seinem Spitznamen ‚Unrat‘ ansprechen. Doch als er im Aufsatzheft eines durch Intelligenz aufbegehrenden Schülers ein Gedicht an eine ‚Künstlerin‘ findet, gerät sein Leben aus den Fugen. Er sucht nach dieser Künstlerin, schließlich verbringt er seine ganze Zeit mit ihr – zunächst um seine Schüler von ihr abzuhalten, dann um sie alle ins Verderben zu führen und auch aus eigennützigen Zwecken. Doch sein eigenes untugendhaftes Verhalten bringt ihm dann nicht nur den Ausstoß aus dem aktiven Schuldienst ein, sondern führt – da er nur noch für die Künstlerin existiert – auch dazu, dass er sich hoch verschuldet und dann auf sehr untugendhafte Weise notdürftig an Geld kommt. Als dann schließlich der intelligente Schüler als gewachsener Mann wiederkommt, dreht er durch und wird schließlich verhaftet – und verliert damit sein gesamtes bürgerlich-humanistisches Leben.

Ich muss sagen, ich fand den Professor Unrat ziemlich gut. Die Schulszenen haben mich zeitweise ziemlich an Wedekinds Frühlings Erwachen erinnert, vor allem auch die Art und Weise des Unterrichts und die Person des einen, intelligenten, gegen die Diktatur aufbegehrenden Schülers, der dann nachher eine wichtige Rolle spielt. Generell habe ich das Gefühl, dass es in diesem Buch weniger um das Individuum Unrat – dessen Name ja schon ganze Prosabände spricht – sondern um die Gattung der konservativen humanistisch gebildeten Lehrer gibt, die völlig weltfremd leben und handeln – Unrat stellt sich auch in allen Dingen, die nicht auf die Schule bezogen sind, furchtbar ungeschickt an und scheint – trotz seines humanistischen Hintergrundes, seiner Hingabe für die klassische Literatur und all seiner bürgerlichen Eigenschaften – scheinbar nicht in den gesellschaftlichen Kontext – auch den des Bürgertums – zu passen. Der Konsulssohn hingegen, der der einzige ist, der weiß, wie er den Professor wirklich zur Weißglut bringen kann, ist geradezu das Idealbild des modernen Bürgertums, ein pfiffiger, wohlgezogener junger Mann, der seine Jugendsünden begeht und dadurch reift. Unrat wirkt wie ein Fossil einer alten Zeit.

Gemeint sein könnte das Bildungsideal der Kaiserzeit, da sin diesem Roman als antiquiertes und unzeitgemäßes Modell dargestellt wird. Diese Darstellung ist wohl bedingt durch die zunehmende Verstädterung und Veränderung des Lebensstils um das Jahr 1900 herum, was beispielsweise auch im Expressionismus stark rezipiert und kritisiert wird, dabei ist die ‚Künstlerin‘ die Vertreterin der neuen Zeit, der der alte Professor vollkommen erliegt, aber mit ihr auch vollkommen überfordert ist. Es ist eigentlich das Gegenteil eines Bildungsromans und es scheint so, als würde Mann ganz bewusst mit diesem Bild kokettieren.

Professor Unrat ist gut lesbar, auch wenn die Sprache natürlich nicht die modernste ist – sie passt einfach gut zu dem Werk und der Zeit und macht das Werk zu etwas ganz besonderem, die dialektalen Elemente mit der sehr sauberen Hochsprache, die der Professor spricht unterstreichen den eigentümlichen Charakter des Werkes noch zusätzlich.

Ich gebe dem Professor Unrat 4,5/5 Sternen – es ist sicherlich nicht eines der Über-Klassiker, die jeder mal gelesen haben muss, aber es ist ein toller Vertreter einer moderneren Romangattung um 1900 herum, ein Vertreter der Gattungsvielfalt und dem Bruch alter Romanstrukturen – dennoch kein Buch, das schwer zu lesen oder zu verstehen ist, wie der Bebuquin oder Berlin. Alexanderplatz. Es ist ein gut lesbarer Klassiker, der seine Position im Kanon definitiv zu Recht innehat.

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