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Mörderische Identitäten – Amin Maalouf

Cover von Mörderische Identitäten

 

Hatte ich nicht vor einiger Zeit gesagt, ich würde nichts rezensieren, was ich so an wissenschaftlichen Texten für die Uni lese? Nun, Zeit für eine Ausnahme. Vorweg: Nein, es ist eigentlich gar kein wissenschaftlicher Text, es ist ein gesellschaftsreflektierender Essay. Also keine Panik, es ist alles gut lesbar und verständlich – und auch weil es bei einem großen Publikumsverlag, nämlich beim Suhrkamp-Verlag erschienen ist, ist es legitim, dass ich hier darüber schreibe.

Amin Maalouf ist gebürtiger Libanese und lebt inzwischen seit über 40 Jahren in Frankreich. Aufhänger für sein Essay war die Frage, ob er sich mehr Französisch oder mehr Libanesisch fühle. Sein großes Problem daran, war, dass er sich zu einer Zugehörigkeit entscheiden müsse und damit immer eine Nationalität ausschließen möchte – und noch schlimmer: Seine Nationalität ordne ihn automatisch zu einem Wertepool zu, der seine Identität, die er ausführlich beschreibt, nur unzureichend wiedergibt. Er problematisiert die starke Zuordnung zu einer Gruppe von Menschen, als ein Prozess, bei dem sich ein Mensch selber reduziere und sich auf eine Stufe mit Menschen stelle, mit denen er, außer dieses einen (nationalen, religiösen) Merkmals keine Gemeinsamkeiten habe, sich aber von Menschen, mit denen er ein breiteren gemeinsamen Wertepool habe, aufgrund eines unterschiedlichen Merkmals stark abgrenze.

Also mal im Klartext: Wenn sich ein Mensch einer Gruppe zuordnet übernimmt er damit nicht nur die Werte der Gruppe, sondern verneint auch alle anderen Gruppen und damit auch Menschen, die ihm ansonsten sehr ähnlich sind. Diese Gruppenzuordnung per se ist nichts schlimmes, aber sie birgt einige Probleme, insbesondere wenn es sich um eine ausschließliche Gruppenzuordnung handelt und man dieser sehr viel Gewicht einräumt. Andersrum ist es nicht minder problematisch, wenn man die Zuordnung eines Menschen zu einer Gruppe nicht akzeptiert, denn das birgt das Potenzial der Radikalisierung der Gruppen, weil sie dann ihr Abgrenzungsmerkmal erst recht zur Schau stellen.

An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass der Essay aus dem Jahr 1999 ist. Ist jemandem die Aktualität aufgefallen? Manchmal habe ich mich beim Lesen wirklich gewundert, wie alt diese Probleme schon sind und wie viel Aktualität sie besitzen. Man denke an Immigration in Deutschland, man denke an Menschen, die für eine deutsche Leitkultur auf die Straße gehen und man vergleiche diese Bemühungen mit dem im Essay geschilderten Identitätsbild. Für mich ist das auch der springende Punkt, warum ich das hier publiziere. Irgendwie finde es schwierig diese aktuellen Tendenzen so unkommentiert im Raum stehen zu lassen, deshalb empfehle ich einfach mal ein Buch, das dazu passt.

Was habe ich zu diesem Buch zu sagen? Zum einen: Es ist ein Essay. Es sind keine harten Fakten, die hier präsentiert werden, sondern eine Meinung. Ein ziemlich spannendes Weltbild wird hier auf rund 150 Seiten aufgerollt und es ist eine sehr inspirierende Erfahrung, sich mal auf diese Denkweise einzulassen, denn sie lässt einige interessante Schlüsse zu, die sich im ersten Moment etwas seltsam anhören, aber mit diesem Identitätsmodell gut begründet werden können. Mörderische Identitäten ist ein Buch, das sich klasse liest. Schnell und einfach kann man in die Gedankenwelt des Autors eintauchen, vieles begründet sich an seiner persönlichen Biografie, die zwar etwas Besonderes, aber dennoch nicht unbedingt außergewöhnlich ist – jeder Mensch lebt irgendwo mit Widersprüchen und wächst mit ihnen auf. Wie er damit umgeht, hat mich ziemlich beeindruckt und auch wenn mir die im Buch angesprochenen Probleme und Schwierigkeiten im Kern nicht unbedingt neu waren, war es dennoch eine wertvolle Erfahrung, ein gebündeltes Identitätsmodell zu geben. Übrigens gibt es im Essay ein ganzes Kapitel zum Thema Islam, das sich relativ detailliert mit der Geschichte des Islams beschäftigt und anhand der Geschichte einige aktuelle Entwicklungen zu erklären und einige seltsame Argumente zu entkräften vermag. Auch dieses Kapitel ist sehr lohnenswert und ermöglicht sicherlich das Entwickeln eines eigenen Standpunktes und erweitert in jedem Fall den Horizont.

Ich möchte auch diesem Buch keine Bewertung geben, die man in Sternen ausdrücken kann, aber ich möchte gerne zusammenfassend erwähnen, dass ich diesen Essay für ein tolles kleines Büchlein halte, in dem einiges drinsteckt, aus dem man sich persönlich weiterentwickeln kann und dass es das reflektierte und eigenständige Denken fördert – dass es das aber auf eine leichte, angenehme Weise tut, indem der Autor den Leser einfach einlädt, ihm in seine Gedankenwelten zu folgen. Für mich eine absolute Empfehlung. Lest diesen Aufsatz!

 

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