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Lenz – Georg Büchner

k-2016-06-16 22.47.43Es kommt nicht oft vor, dass man einen Text liest und danach völlig verwirrt ist. So ging es mir mit Büchners Lenz. Zu Büchner hatte ich schon einiges erzählt, den Lenz fand man posthum in seinem Nachlass, Bücher schrieb ihn wohl im Jahr 1835. Der Text umfasst kaum 20 Seiten und es ist noch immer unklar, ob es sich hierbei um ein Fragment handelt, ob die Erzählung – ich denke, das ist der einzige Begriff, auf den wir uns einigen können – vollständig ist oder ob sie überhaupt hätte veröffentlicht werden sollen.

An dieser Stelle steht jetzt normalerweise die Inhaltsangabe, was mir hierbei ein wenig schwerfällt, denn ich hatte wirkliche Schwierigkeiten zu verstehen, worum es geht. Klar ist, es geht um Lenz, ziemlich sicher eine Anspielung auf den realen Schriftsteller J.M.R. Lenz und seinen Geisteszustand. Auf einer Gebirgswanderung nimmt er die Kälte nicht wahr, abends plagen ihn Angstzustände; er wird von einem Pfarrer aufgenommen, doch in seinem Quartier kommen die Ängste zurück, er verletzt sich selbst und gewinnt aber noch einmal seine Besinnung zurück. Doch sein Zustand wird tendenziell schlechter, lediglich in Gesprächen mit dem Kaufmann über Kunst kommt seine Klarheit zurück, diese findet jäh ein Ende, als der Kaufmann auf eine längere Reise muss und Lenz Zustand völlig eskaliert, er sieht sich selbst als Büßender, der einen Pilgerweg auf sich nehmen muss. Sein Freund, der Pfarrer bringt ihn nach seiner Rückkehr in ein Heim nach Straßburg, wo sich dann eine entsetzliche Leere in ihm breitmacht – und so lebt er dahin.

Mein Literaturprofessor sagte zu Büchner einst, dass man ihm nachsehen müsse, er sei damals kaum zwanzig Jahre alt gewesen und habe sich seine Werke – wie alle jungen Schriftsteller – aus den verschiedensten Quellen zusammengeklaubt und sei nur in der Kombination seiner Quellen etwas revolutionär Neues gewesen. Im Falle von Lenz ist wohl ziemlich gesichert, dass er sich hier den authentischen Briefen des historischen Lenz und den Beobachtungen des ebenfalls auftretenden Pfarrers bedient hat, teilweise wohl sogar ziemlich direkt abgeschrieben hat – man wirft dies Büchner auch gerne vor, wobei ich es immer schwierig finde, jemandem etwas vorzuwerfen, was er nicht veröffentlicht hat – ich möchte auch nicht, dass jemand meinen Giftschrank findet und mir dann ein Plagiat vorwirft.

Es fällt mir wirklich schwer, etwas zu der Erzählung zu sagen. Und wenn man inhaltlich nichts zu sagen hat, schaut man sich das Formale an. Die Form ähnelt einer Novelle, viele indirekte Rede, schnelle Erzählweise, es liest sich wie eine prototypische Novelle, aber inhaltlich fehlt der gesamte Novellenbezug. Es gibt kein ‚unerhörtes Ereignis‘, wie bei der Marquise von O, es gibt keine wirkliche inhaltliche Strukturierung, die sich dem Drama annähert. Es wirkt, wie ja auch das Fragment Woyzeck als Dekonstruktion des Dramas wirkt, wie eine Dekonstruktion der Novelle. Generell fallen mir einige Parallelen zwischen den Werken auf, es geht um einen kranken Geisteszustand, beide Werke lesen sich sehr fragmentarisch (was beim Woyzeck auch kein Wunder ist), beide Werke sind für den an klassische Dramen (Novellen) gewöhnte Leser ein völliger Bruch mit den Genreerwartungen.

Und so muss ich jetzt noch etwas dazu sagen. Was soll ich noch ergänzen? Ich hatte das Büchlein innerhalb einer Stunde oder so durchgelesen und war nach dem Lesen keinen Deut schlauer. Erst mit dem Anhang zusammen und nach einiger Recherche konnte ich etwas mit dem Werk anfangen. Ich denke nicht, dass es ein absolutes Must-Read ist, ich denke, der Woyzeck ist wesentlich leichter zugänglich und inhaltlich klarer, denn diese inhaltliche Unklarheit, die schnellen Szenenwechsel und die nicht wirklich gut abgegrenzten Zustände des Geisteszustandes sind es, die das Werk so unzugänglich machen. Eine interessante Erfahrung, aber wenn man das Werk wirklich verstehen möchte, muss man vermutlich viel mehr Zeit investieren. Vielleicht finde ich diese Zeit einmal, bis dahin möchte ich lieber keine Wertung vergeben.

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