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Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl – Clemens Brentano

k-2016-11-08-23-48-19Heute geht es mit der unregelmäßigen Serie von romantischen Erzählungen weiter – mit einer Geschichte, die mir mal wieder meine Titelzeile sprengt. Aber gut, das hatte Brentano sicherlich nicht beabsichtigt. Es ist eine kleine Geschichte, vielleicht am ehesten noch als Novelle zu bezeichnen, die sich auf kaum 40 Seiten entfaltet.

Eine alte Frau legt sich auf der Straße zur Ruhe und zieht natürlich alle Aufmerksamkeit auf sich. Doch sie bleibt verschlossen, erzählt ihr Anliegen nicht, lediglich dem Ich-Erzähler, der sich nachdem alle gegangen sind, zu ihr begibt, erzählt sie die Geschichte ihres Sohnes, der sich selbst tötete, als er sah, dass sein Vater selbst in bestohlen hatte, ihn aufgrund seiner Ehre anzeigen musste und weil damit seine Ehre verloren war, tötete er sich selbst. Schließlich soll seine Verlobte gehängt werden, da sie das Kind tötete, das ihr ein Fähnrich schenkte, der um ihre Hand anhielt, sie aber dann verließ. Die alte Frau möchte nun den Herzog ersuchen, dass die gehenkte im Grab der Familie begraben werden darf – als der Ich-Erzähler, der Schriftsteller, das erfährt, rennt er sofort zum Herzog, der will sie auch begnadigen, leider kommt jedoch der Bote zu spät und nimmt sich das Leben, weil er derjenige war, der sie verließ. Aber nachdem der Herzog das Begräbnis nun zugesichert hat und die alte Dame ihren Kranz überreichen durfte, ist auch ihr Leben erfüllt und sie stirbt.

Interessant fand ich vor allem, wie viel Inhalt hier auf 40 Seiten untergebracht wird. Das sind ja ganze Lebensgeschichten, die hier erzählt werden. Die Geschichte kann man natürlich – genauso wie viele romantische Erzählungen auf ihre Erzählstruktur untersuchen, es gibt mal wieder eine Binnenerzählung, die dann mit der Rahmenerzählung auch schön wechselwirkt, also von ihr gar nicht losgelöst ist. Viel wird natürlich auch über das Motiv der Ehre gesprochen, die Schlussszene ist gar eine Ausstellung von guter und schlechter Ehre und alles scheint von der Ehre getrieben zu sein, man könnte sagen, dass jede Handlung dieser Familie nur auf die Ehre fokussiert ist.

Aber ich möchte heute mal über etwas Anderes sprechen: Früher war es so, dass man eine Geschichte seinem Verleger einreichte und er dann damit machen könnte, was er wollte. Es gibt einen Druck, bereits 1817 in einer Zeitschrift erschienen, der wirklich von Brentano stammt. Dann gibt es weitere Veröffentlichungen, die teilweise stark gekürzt sind, wo viel an der Orthografie und an der Zeichensetzung gearbeitet wurde, die er auch sehr individuell ausgefeilt hat – und in deren Folge ist es immer etwas schwierig, wenn man irgendwo irgendwelche Versionen des Textes findet, die keine Auskunft darüber geben, welcher Text dieser Ausgabe zugrunde liegt. Darauf muss man immer achten. Am schönsten ist es, wenn die Ausgabe selbst viel darüber erzählt – und das muss nicht zwingend eine teure Ausgabe sein, in meinem Reclam-Heft für keine zwei Euro ist dazu bereits ein recht umfangreicher Apparat vorhanden.

Ich muss sagen, ich fand die Geschichte durchaus interessant. Mir ist der Stellenwert der Geschichte in der Romantik noch nicht so ganz klar und es ist eine Geschichte, die viel weniger mit phantastischen oder übersinnlichen Elementen operiert, viel mehr ist sie sehr weltlich auf Ehre bezogen und damit vielleicht nicht das typischste Beispiel für eine romantische Erzählung – dennoch ist die Erzählstruktur und Erzählweise ganz typisch für romantische Erzählungen. Und wenn man schon mal einige Geschichten dieser Bewegung gelesen hat, findet man sich auch sofort in der Geschichte wohl und kann sich gut hereinlesen. Ich gebe gerne mal 3,5/5 Sternen für eine sicherlich lesenswerte Geschichte, die aber meinen persönlichen Geschmack nicht ganz exakt trifft.

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