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Die Welt auf dem Kopf–Milena Agus

Cover von Die Welt auf dem Kopf

 

Dieses Buch habe ich als Rezensionsexemplar bei Vorablesen gewonnen. Vielen Dank dafür an den Deutschen Taschenbuch Verlag (für das Hardcover…)

Wir befinden uns ein einem dreistöckigen Haus. Oben wohnt ein relativ reicher Violinist, in der Mitte die Ich-Erzählerin, eine Studentin und unten eine ärmere Frau mit ihrer Tochter. Der Herr von oben braucht eine Haushaltshilfe und die Studentin gewinnt die Dame von unten dazu. Diese fängt daraufhin eine seltsame Beziehung mit diesem Herren an, sie kauft sich Reizwäsche und die beiden spielen “Abbildungen aus Sexheften”, die der Violinist besitzt, nach, was der Tochter der Dame von unten nicht behagt.

Als dann Ehefrau, Sohn und Enkel des Violinisten heimkommen und dieser ein Konzert gibt, ergibt sich ein ziemliches Beziehungschaos um die Homosexualität des Sohns herum. Jeder scheint sich irgendwie in jeden verliebt zu haben und die Eifersucht bestimmt das Beziehungsgeflecht. Zum Konzert des Violinisten kommt die Studentin nicht mit, weil sonst der Freund der Tochter aus dem unteren Stockwerk eifersüchtig wird. Später erklärt sich dann die Lebensgeschichte der Charaktere, der Herr aus dem oberen Stockwerk zieht zu seiner Liebhaberin nach unten und trennt sich von seiner Frau. Gegen Ende wird dann die Wahrheitstreue der Erzählung in Frage gestellt, indem sich eine Figur als fiktive Autorin der Geschichte zu erkennen gibt.

Ich war nach der Leseprobe total verwirrt, es klang meiner Meinung nach sehr postmodern an und exakt so war es auch. Den postmodernen Roman muss man mögen. Es wird zwar halbwegs chronologisch eine zusammenhängende Geschichte erzählt, diese wird aber durch relativ fragmentarische Berichte der Figuren über ihre Vergangenheit ergänzt, sodass die Intentionen der Figuren erst spät klar wird, auch eine Entwicklung vermisst man bei vielen Figuren.

Es kommt außerdem gegen Ende eine metafiktionale Ebene, also eine Thematisierung des Schreibprozesses auf, indem die Ich-Erzählerin einen Roman über genau dieses Thema schreiben will. Durch die Ich-Erzählerin und diese Metafiktionalität stellt sich natürlich unweigerlich die Wahrheitsfrage. Ist die erzählte Geschichte die fiktive Wahrheit oder eine Fiktion in der fiktionalen Welt, also doppelt fiktional?

Aber auch, wenn man diese, eher auf Metaebenen bezogenen, Fragestellungen weglässt und sich nur auf den Inhalt konzentriert, ist der Roman sehr ergiebig. Es ist ein Plädoyer für Homosexualität und die Homo-Ehe, es bricht eine Lanze für das Auflösen jahrzehntealter Partnerschaften, es führt diverse alternative Lebensstile vor und zeigt eine Welt, die tatsächlich komplett auf dem Kopf steht.

Die Metaphorik und die Charaktere des Buches sind sehr detailliert und liebevoll gezeichnet. Natürlich wohnt im oberen Stockwerk die Oberschicht, natürlich hat jede Figur eine ganz individuelle und prägende Vorgeschichte und stereotype Charaktere sucht man bei Milena Agus vergebens. Das Buch ist mitreißend und gefühlvoll, aber auch nicht ganz anspruchslos. Man sollte sich für das Buch Zeit nehmen und man sollte es mehr oder weniger am Stück lesen – was bei knapp 200 Seiten auch nicht so schwer ist. Es ist sprachlich nicht unbedingt anspruchsvoll, aber der Inhalt ist an einigen Stellen etwas verwirrend und schwer zu durchschauen. Für den anspruchsvollen Leser daher ein wundervolles Buch, dessen wohl größter Manko der nervige Schutzumschlag ist 😉

Ich vergebe für “Die Welt auf dem Kopf” 5/5 Sternen. Zwar kostet das Buch 18,90€, die ist es aber meiner Meinung nach auch wert. Ich bin sehr froh, es bekommen zu haben, ich hätte ansonsten einen bedeutenden Roman verfasst. Ich denke, das ist ein Roman mit enormem Potenzial und behaupte, es ist einer der größten Romane, der in den letzten Jahren erschienen ist. Lest ihn – zumindest wenn ich zumindest ein bisschen was mit moderner Literatur anfangen könnt.

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