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Die Klavierspielerin – Elfriede Jelinek

Eine Nobelpreisgewinnerin! Es passiert schon selten genug, dass sich ein Gewinner des Literaturnobelpreises in diesen Blog verirrt und dann auch noch eine auf Deutsch schreibende Frau. Sie ist Österreicherin, gewann den Preis im Jahr 2004 – das Buch, über das ich heute sprechen möchte, ist jedoch bereits von 1983: Die Klavierspielerin. Ich muss zugeben, ich lese das Buch nicht ganz aus freien Stücken, sondern besuche ein Didaktikseminar, das sich mit diesem Buch beschäftigt. Dennoch möchte ich natürlich die Gelegenheit nicht auslassen, um über dieses Buch zu schreiben und euch vielleicht mal einige Gedanken vorstellen. Doch zunächst zum Inhalt:

Erika Kohut ist Klavierlehrerin und lebt mit ihrer Mutter zusammen, die Erikas Geld auf eine Eigentumswohnung fürs Alter sparen will. Schnell offenbart sich, dass die Mutter Erika scheinbar völlig dominiert und kontrolliert, sobald Erika zuhause ist, läuft alles nach dem Willen der Mutter, ihre wenigen Freiräume muss sie sich mühsam erkämpfen. So kommt es dann, dass sie ihre Mutter anlügt, um in ein Pornokino zu gehen oder nachts auf den Wiener Prater, um einem Pärchen beim Akt zuzusehen. Ihr Klavierschüler Walter Klemmer zeigt ein Interesse an ihr und nach einer kleinen Szene in einer Toilette, formuliert sie ihre sadomasochistischen Wünsche über den Weitergang in der Beziehung in einem Brief. Als er dann nach langem Protest an die Umsetzung dieser Wünsche geht, erkennt sie, dass ihre Wünsche ein Fehler waren. Er vergewaltigt sie und sie tötet sich anschließend.

Ich habe jetzt mal versucht, das so knapp und reduziert wie möglich zu erzählen, denn tatsächlich ist die Handlung noch ein wenig komplexer, wenn auch nicht allzu undurchdringlich. Auf den fast 300 Seiten geschehen tatsächlich wenig Nebenhandlungen, der Fokus liegt stets auf den Hauptfiguren und deren Geschichte wird ausführlich erzählt.

Das Buch ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Trotz der teilweise sehr expliziten Themen des Textes, handelt es sich keineswegs um einen pornografischen oder erotischen Roman, sondern um einen feministischen. Es werden vielerlei Themen angesprochen, das verkehrte Mutter-Tochter-Verhältnis, die Liebe zwischen Mann und Frau, die der Roman in der klassischen Form gar nicht zu kennen scheint, die Andersartigkeit von Frauen und wie mit diesen Frauen umgegangen wird, schließlich spielt aber auch die Musik eine große Rolle; romantischen Komponisten werden sehr gelobt, die Klavierlehrerin lässt sich darüber aus, dass jeder die Musik erlenen soll und sieht sich selbst – viel mehr sieht die Mutter sie so – als verkanntes Genie – der aber in der Geschichte jegliche Genialität zu fehlen scheint. Natürlich spielt auch weibliche Sexualität eine Rolle, eine nicht zu unterschätzende sogar, ist sie doch der Träger des dem Buch inhärenten Konflikts.

Ich könnte vermutlich einige Seiten vollschreiben, um hier einzelne Passagen aus dem Werk zu interpretieren, um einige Bedeutungsmuster anzureißen, um möglicherweise einige Passagen zu dechiffrieren. Es ist ein Buch über Mann und Frau und deren Zusammenleben. Wie funktioniert eine Beziehung zwischen Partnern, die nicht der gesellschaftlichen Normvorstellung entsprechen? Wie funktioniert für Frauen das Leben, wenn sie nicht dem emanzipierten Ideal entsprechen? Kann es eine Liebe zwischen Mann und Frau geben oder ist diese gar nicht möglich? In der Klavierspielerin darf es zumindest angezweifelt werden. Und dann die Sprache! Das ganze Buch ist von feiner Ironie durchzogen, die Erzählinstanz scheint unglaublich distanziert zu den handelnden Figuren zu stehen, liefert die psychoanalytische Deutung eigentlich fast schon mit, die Sätze klingen manchmal total banal, verglichen mit der Bedeutung, die sie entfalten.

Tatsächlich finde ich das Buch aus wissenschaftlicher oder gerade auch aus didaktischer Perspektive ziemlich interessant; ein Buch an dem man viel Besprechen kann, das die Interpretation und die Analyse geradezu fordert; kein Buch, das man in der Mittagspause ausklappt, um sich zu entspannen. Persönlich hatte ich an der Lektüre nicht so wahnsinnig viel Freude und ich glaube, ohne das Seminar wäre es an mir vorbeigegangen. Damit meine ich nicht, dass das Buch keinen Blick wert ist, ganz im Gegenteil. Trotz seines Alters greift es hochaktuelle Themenfelder auf, positioniert sich in aktuellen Diskursen und insbesondere in der Szene der feministischen Literatur. Ich vergebe einfach mal aus dem Bauch heraus 3,5/5 Sternen. Wer Lesegenuss sucht, ist hier sicherlich falsch, wer aber bereit ist, sich auf eine neue Konzeption von Frauenbildern einzulassen und überdies etwas Mühe beim Lesen nicht scheut, kann sich durchaus an diesem Buch bereichern. Denn, so viel sei ausdrücklich hervorgehoben, Elfriede Jelinek hat den Literaturnobelpreis zwar nicht nur aber auch für dieses Buch gewonnen – und das sicherlich zurecht.

 

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