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Breaking News – Frank Schätzing

Cover von Will Grayson Will Grayson

 

Da ist er nun. Der neue Thriller von Frank Schätzing, der nach sich nach Limit (2009) fast fünf Jahre Zeit ließ, um Breaking News, einen Polit-Thriller, wie er brisanter nicht sein könnte, zu schrieben. Für diesen Thriller nahm Schätzing umfangreiche Recherchearbeiten in Kauf, ohne die dieser Roman auch nicht funktioniert hätte. Doch fangen wir vorne an:

Tom Hagen war einst ein erfolgreicher Journalist, bis dann die fahrlässige Tötung einer Volontärin seine Karriere zunichte macht. Seitdem reist er von Krisengebiet zu Krisengebiet, um irgendwie zu einem Comeback zu kommen und kommt so an geheime Daten des israelischen Geheimdienstes, die zwar wenig erfolgversprechend scheinen, aber aus denen er sich eine schöne Story zusammenphantasieren kann. Wie viel Wahrheit dahintersteckt, wird ihm erst bewusst, als ein Kugelhagel auf ihn einprasselt und er mal wieder um sein Leben fliehen muss – gejagt gleich zwei Organisationen.
Parallel dazu entfaltet sich die Geschichte der Familie Kahn, die einst Siedler waren und in Frieden und Freundschaft mit den Arabern lebten und die die Stationen der israelischen Staatsgründung mehrmals dazu zwang, ihren Wohnort zu wechseln. Auch Ariel Scharon spielt eine wichtige Rolle – in beiden Geschichten.

Um den Roman auch nur ansatzweise zu erfassen, muss ich mir einige Aspekte herausgreifen, die zeigen sollen, wie der Roman funktioniert.
Der Roman ist grandios recherchiert und erzählt in enormer Tiefe und mit viel Spannung die Geschichte Israels, die zahlreichen politischen Verwicklungen, die Probleme der Siedler und die Ambivalenz jeglichen politischen Handelns. Klar, ein eigener Staat ist was tolles, aber man hat sich auch vorher mit den Arabern gut arrangiert. Der religiöse Standpunkt vertritt, dass das Land Israel einfach gottgegeben sei und man auf jegliche Diplomatie verzichten müsse – es sei ja von Gott so gewollt. Durch die Geschichte der Familie Kahn, die in diesen brisanten Gebieten wohnt und mehrmals umziehen und neu anfangen muss, erfährt man, was es heißt, in Israel zu leben und welchen Charakter der Staat hat. Das war mir vorher nicht in der Form bewusst – und ich denke, das geht nicht nur mir so. Der Roman ist also ein Werk der politischen Bildung und erfüllt eine ganz wichtige Rolle, denn wie einfach ist man geneigt, angesichts der Situation in Israel und Palästina zu vorschnellen Urteilen zu kommen.

Die fiktiven Elemente beginnen mit dem Tod Ariel Sharons, der fiktiv ist und keine natürlichen Ursachen zufolge hat. Auch die ganze Geschichte mit den diversen Organisationen, die Tom Hagen jagen, ist natürlich frei erfunden, aber gar nicht so abwegig, überlegt man, wie Israel so funktioniert – mehr möchte ich dazu erstmal nicht sagen, mir hat diese Geschichte gut gefallen, sie war spannend aufgebaut und die (fiktive) Figur Tom Hagen ist ein klasse Protagonist, der gut und abwechslungsreich dargestellt ist – so abwechslungsreich, dass die langen Passagen israelischer Geschichte um die Familie Kahn fast etwas langweilig wirken.

Das geneigte Feuilleton spricht davon, dass der Roman sprachlich unterirdisch sei. Und tatsächlich, der Stil des Romans ist ein einziges Feuerwerk. Es bebt ständig die Erde, der Sprachstil ist sehr abgehackt, oft sind Sätze unvollständig, regelmäßig fehlen entweder Prädikate oder Subjekte – oder beides – und ein Extrem folgt auf das andere. Das ist auch konsequent durchgezogen und macht den Roman sicherlich etwas anstrengend – aber gleichzeitig ist es unglaublich passend. Denn genau das ist Israel; genau diese Extreme, das Abgehackte und diese Unvollständigkeit verkörpern Israel auf eine unglaublich präzise und mitreißende Weise. Auch wenn ich es manchmal als anstrengend empfunden habe, war ich sehr angetan von diesem mutigen Stilbruch mit den hochsprachlichen Konventionen – wünsche mir aber nicht, dass dieser Nominalstil zur Standardsprache wird und hätte einen sparsameren Gebrauch besser gefunden. In einem muss ich dem Feuilleton allerdings rechtgeben: Die Sexszenen sind wirklich schlecht und liegen Schätzing nicht. Aber weil sie doch recht sparsam sind (ich erinnere mich an vier-fünf kurze Ausschnitte aus fast 1000 Seiten), ist das noch vertretbar.

Noch eine Sache: Fast 1000 Seiten heißt, das Buch zieht sich. Wir fangen erstmal in Afghanistan an, erleben Tom Hagens Fall, währenddessen werden 80 Jahre früher gerade unsere Protagonisten der Parallelhandlung geboren. Will heißen: Der Roman braucht eine ganze Weile, um in die Gänge zu kommen. Spannend ist die Handlung ab der ersten Seite an, aber erst nach ungefähr 300 Seiten hat man wirklich ein Gefühl dafür, worum es eigentlich geht und die Kernereignisse lassen fast 500 Seiten auf sich warten. Das kann ermüdend sein. Muss es aber nicht. Wer lange Bücher liebt, wird auch diesen großzügig bemessenen – und ja durchaus spannenden und abwechslungsreichen Einstieg in die Handlung lieben. Wer lieber auf 300-seitige Provinzkrimis steht, hat hiermit wohl wenig Freude.

Was bleibt also übrig von Breaking News? Ein brilliantes Epos. Wichtig, hochbrisant und spannend bis zur letzten Minute. Die ganzen negativen Kommentare des Feuilletons (und der Leserkommentare darunter, die noch viel furchtbarer sind!) kann ich nicht nachvollziehen. Sprachlich ist es etwas besonderes, was einem gefallen kann, aber nicht muss – ich fand es etwas zu viel. Ganz so mitgerissen wie der Schwarm hat mich Breaking News nicht, weil ich das Buch aber so unglaublich wichtig finde und eine Chance sehe, dass durch dieses Buch politische Bildung vermittelt werden kann, gebe ich liebend gerne 4,5/5 Sternen. Auch wenn 26,99€ natürlich eine ganze Menge Holz sind, die ich wahrscheinlich nicht investiert hätte. Bleibt also, auf die TB-Veröffentlichung zu warten, oder die Bibliothek des Vertrauens zurate zu ziehen. Ich kann den Roman nur empfehlen. Traut euch, mal einen mächtigen Roman anzugehen. Es kann sich lohnen.

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