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Bécon-les-Bruyères – Emmanuel Bove

Angeregt durch eine Ausstellung der örtlichen Universitätsbibliothek, sah ich mich mit einem Stapel Bücher des französischen Autors Emmanuel Bove nach Hause gehen. Ich nahm unbeschwert eines davon zur Hand, las es – und wollte für diese Rezension noch ein bisschen nachrecherchieren. Ich weiß, dass Bove nicht gerade ein vielrezipierter Autor ist – aber ich habe tatsächlich abgesehen von der Verlagsseite und den diversen Buchhandelsketten keinen Artikel, nicht mal eine Kundenrezension oder einen Blogpost über dieses Buch, Bécon-les-Bruyères von Emmanuel Bove gefunden. Daher heute unter etwas erschwerten Bedingungen die vermutlich erste Rezension zu diesem Buch:

Bove beschreibt in diesem Buch eine kleine Pariser Vorstadt, wie sie dort liegt, kaum mehr als einen Bahnhof und einige Straßen daneben umfasst, er beschreibt den Bahnhofsbetrieb und wie die Pendler alle von dort flüchten, er beschreibt, das langsame Sterben und wie sie von den benachbarten Vierteln geschluckt wird. Er beschreibt die Fremdheit in der Vorstadt, wie wenig Gemeinschaft es dort gibt und wie wenig sie überhaupt beachtet wird – nicht einmal der Bahnhof trägt den Namen des Vorstadtviertels, er trägt den Namen der beiden benachbarten Orte, sodass Bécon-les-Bruyères nicht einmal dort auftaucht. In dieser Tristesse endet das Buch dann unaufgelöst.

Es handelt sich hier mehr um eine kurze Erzählung, als um ein Buch, es umfasst in der deutschen Fassung kaum 80 Seiten – ist aber auch nicht das, was man unter einer Novelle verstehen kann; ich denke, der Titel „Erzählung“ trifft es am besten. Emmanuel Bove ist in Deutschland kaum bekannt, wird aber, wenn überhaupt, extrem positiv rezipiert. Übersetzt wurde das Werk von Peter Handke, einem österreichischen Schriftsteller, der nahezu der Einzige ist, der sich im deutschsprachigen Raum mit Bove beschäftigt hat, mal von den Ausstellern abgesehen.

Dabei ist Bécon-les-Bruyères ein großartiges Buch. Es behandelt exemplarisch am Pariser Beispiel die Problematik des kleinen Vorstadtviertels, das auf quasidörfliche Strukturen baut, dabei aber jegliches Gemeinschaftsgefühl des Dorfes vermissen lässt, weil es nur davon lebt, einen Anschluss in die Großstadt zu haben – und jeder, der kann, würde auch immer in die Grußstadt fliehen wollen. Der Übersetzer wird im Verlagstext damit zitiert, Bove habe hier die Geschichtsschreibung anstelle einer Person an einem Ort festgemacht – und ich finde, diese Beschreibung trifft es ganz gut auf den Punkt. Man hat beim Lesen nicht das Gefühl, sich mit einem toten Block Häuser auseinanderzusetzen, sondern man denkt, man baue eine Verbindung zu einem lebendigen, organischen Wesen auf, die Vorstadt wirkt wie ein sterbender Organismus, den man beobachtet. Das mag an der malerischen und bildreichen Sprache liegen, für die zum Teil Bove selbst verantwortlich sein mag, die aber auch der Übersetzer wundervoll mitgeprägt hat.

Spannend wird es, wenn man weiß, dass das Buch aus dem Jahr 1924 ist, also kurz nach dem ersten Weltkrieg in einer Zeit, die man in Deutschland als die Goldenen Zwanziger bezeichnet. Übersetzt wurde der Text jedoch erst im Jahr 1984 – also über sechzig Jahre später. Das Buch ist meiner Ansicht nach völlig zeitlos, man könnte es heute vermutlich nicht deutlich anders beobachten – wenngleich natürlich die Welt heutzutage im digitalen Zeitalter anders funktioniert – solche unzusammenhängenden Vorstadtviertel gibt es durchaus heute noch zu beobachten.

Ich halte Emmanuel Bove für einen stark unterschätzen Autor. Bécon-les-Bruyères ist eine kleine, sympathische Geschichte, die in einer sehr ästhetischen Form eine sterbende Vorstadt portraitiert. Die sehr düstere Ästhetik, die ich bisher nur von deutschen Expressionisten kannte, nimmt Bove in einer ‚schöneren‘ Form auf und man hat trotz der Hoffnungslosigkeit nicht das Gefühl, es wäre derart dunkel, wie der Expressionismus. Bécon-les-Bruyères ist also meiner Ansicht nach auf jeden Fall einen Blick wert – und ich gebe daher gute 4/5 Sternen für einen kurzen und ansprechenden Text – den es auch für gerade mal ein paar Euro aus dem Suhrkamp-Verlag gibt.

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